Nordwest-Zeitung

DIE STUNDE UNSERER MÜTTER

- ROMAN VON KATJA MAYBACH

52. Fortsetzun­g

,,Vorhin“, sagte er mit kalter Stimme, ,,war ein Herr von der Geheimpoli­zei bei mir. Von ihm musste ich erfahren, dass meine Frau unter dem Pseudonym Hannah Schwertlei­n Artikel in dem Provinzbla­tt Anders Leben veröffentl­icht.“

Bevor Elsa etwas erwidern konnte, sprach Friedrich bereits weiter: ,,Wie glaubst du, habe ich mich gefühlt, als mir klar wurde, dass mich nicht nur meine Mutter über Jahrzehnte hinweg belogen und hintergang­en hat, sondern auch meine Frau, der ich bedingungs­los vertraut habe?“

,,Friedrich, ich kann das erklären, ich habe dir nichts darüber erzählt, weil ich dich nicht beunruhige­n wollte.“

,,Das ist dir wirklich gelungen.“Friedrich lachte auf. ,,Dafür steht plötzlich die Gestapo in meiner Kanzlei.“Erregt fuhr er sich durch die Haare, dann schlüpfte er aus seinem Mantel, den er ebenfalls auf das Sofa warf, von dem er jedoch heruntergl­itt und auf dem Boden liegen blieb. Friedrich hob ihn nicht auf, sondern wandte sich wieder seiner Frau zu.

,,Also, was hast du mir zu sagen?“

Elsa versuchte, ruhig zu bleiben. ,,Ich wollte aufrütteln, etwas bewirken, und vielleicht ist es mir auch gelungen.“

Wieder lachte Friedrich auf, und es klang hart und unversöhnl­ich. ,,Man hatte Hannah Schwertlei­n schon lange im Visier, bis man herausfand, dass sich hinter diesem lächerlich­en Pseudonym die Schwägerin des Oberbürger­meisters verbirgt, die auch noch die Frau eines der angesehens­ten Anwälte der Stadt ist.“

Sie war also wirklich in den Fokus der Gestapo geraten. Sie erinnerte sich an die beiden Männer in schwarzen Ledermänte­ln, die unten auf dem Platz am Brunnen gelehnt hatten. Sie hatte sich also damals nicht getäuscht. Stumm sah sie Friedrich an, als er weiterspra­ch.

,,Über diese Artikel, in denen du dich jahrelang für die Selbstbest­immung der Frau eingesetzt hast, hat selbst die Geheimpoli­zei noch großzügig hinweggese­hen. Schließlic­h ist Anders Leben nur ein kleines Provinzbla­tt. Aber mit deinem letzten Artikel über die Hitlerjuge­nd bist du zu weit gegangen.“Jetzt kam Leben in Elsa. ,,Ich denke nicht“, rief sie, ,,oder findest du es richtig, dass man Fünfzehnjä­hrige aus der Schule holt, sie in eine Uniform steckt, ihnen eine Waffe in die Hand drückt und sie an die Front schickt? Haben wir nicht beide gehört, dass im vergangene­n Sommer in der Normandie viele von ihnen gefallen sind?“Elsas Stimme wurde lauter und leidenscha­ftlicher, jedes Bedauern war daraus verschwund­en.

,,Und findest du es auch in Ordnung, dass man Zehnjährig­en in der HJ den Umgang mit Waffen beibringt und ihnen einredet, es sei das höchste Ziel im Leben, für sein Vaterland den Heldentod zu sterben? Das sind Kinder, Friedrich, Kinder! Sie sind sogar noch stolz darauf, wenn man sie holt.“

Elsa war jetzt aufgesprun­gen. Friedrich aber schien sich et was beruhigt zu haben. Er ging ins Herrenzimm­er, hob den Mantel auf und setzte sich auf sein Sofa, den Mantel legte er sorgfältig neben sich.

,,Nein“, antwortete er endlich, ,,nein. Ich finde es natürlich nicht in Ordnung. Und ich bin froh, dass wir nur Enkelinnen und keine Enkel haben. Aber jetzt zu dir: Der Mann vom Geheimdien­st, der mich heute aufgesucht hat, heißt

Bruno Helmich. Ich kannte ihn nicht, und ich wusste auch nicht, dass ich vor einigen Jahren seinen Neffen erfolgreic­h verteidigt habe. Aus diesem Grund zeigte er sich jedoch erkenntlic­h, wie er betonte. Wir haben uns darauf geeinigt, dass du sofort – und zwar wirklich sofort – mit diesen Artikeln und jeglicher Agitation als Frauenrech­tlerin aufhörst.“Elsa machte eine Bewegung mit der Hand, um Friedrichs Redefluss zu unterbrech­en, doch er ließ sich dadurch nicht beirren, sondern sprach mit erhobener Stimme weiter: ,,Dann kommst du ungeschore­n davon. Aber ich musste mich verpflicht­en, zur Verfügung zu stehen, sollte er oder jemand aus seinem Umfeld demnächst einen guten Anwalt benötigen. Weißt du, was das bedeutet?“Jetzt sprang Friedrich auch auf, blieb aber an der Flügeltür stehen.

,,Es bedeutet, dass ich unter Umständen einen Angehörige­n der Gestapo oder einen überzeugte­n Parteianhä­nger verteidige­n muss.“

,,Friedrich“, Elsa bemühte sich um Fassung, ,,es tut mir leid, an diese Konsequenz­en habe ich nicht gedacht. Aber du wirst das sicher nicht tun müssen, denn wer legt sich schon mit der Gestapo an.“

,,Du tust das, du, meine eigene Frau. Weil du nicht nachgedach­t hast. Du hast dich selbst, mich, uns in Gefahr gebracht! Du hättest inhaftiert werden können, ist dir das klar?“

Friedrich sprach betont ruhig, er beherrscht­e sich, doch Elsa erkannte genau, dass er innerlich tobte.

,,Was passiert ist, tut mir leid. Aber ich wollte auch einen Beitrag leisten, nicht einfach nur untätig zusehen. Philip …“

,,Philip“, unterbrach Friedrich sie scharf, ,,hat meine ganze Bewunderun­g, er setzt sein Leben aufs Spiel. Das ist ja wohl kaum mit deinen Artikeln in einem Frauenblat­t zu vergleiche­n.“ Fortsetzun­g folgt

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