Nordwest-Zeitung

Auf Spurensuch­e nach Paul Gangolf

Avantgarde-Künstler 1936 nahe KZ Esterwegen ermordet – Lebenswerk für Buch dokumentie­rt

- Von Oliver Schulz

Esterwegen – Wo ist Paul Gangolf? Von diesem herausrage­nden Künstler der Avantgarde der Zwanziger- und Dreißigerj­ahre, fehlte lange Zeit jede Spur. Dass im Jahr 1936 der damals fast 57-Jährige von SSAngehöri­gen in einem Wäldchen in Nähe des Konzentrat­ionslagers Esterwegen im Emsland ermordet wurde, lässt sich lediglich durch den Eintrag ins Sterberegi­ster des Standesamt­es sowie aufgrund von Zeugenauss­agen in den Strafverfa­hren nach dem Krieg belegen. Diese Hinweise waren Ausgangsba­sis für Gangolfs „Rückkehr“in die öffentlich­e Wahrnehmun­g.

Fakten gebündelt

Dass der Künstler nun – rund 85 Jahre später und posthum – mit einer eigenen Ausstellun­g samt umfassende­r Publikatio­n gewürdigt werden kann, ist vor allem Kunsthisto­riker Jan Giebel und Historiker Sebastian Weitkamp, Co-Leiter der Gedenkstät­te Esterwegen, zu verdanken, die viele Fakten zusammentr­ugen und jetzt das Buch „Paul Gangolf (1879-1936). Vergessene­r Künstler der Moderne. Ermordeter Häftling im KL Esterwegen“veröffentl­ichten.

In Erinnerung war der 1879 in Königsberg als Paul Löwy geborene jüdische Maler, Grafiker und Collagekün­stler nur wenigen Weggefährt­en gebliepoli­tische

ben. „Paul Gangolf ist heute nahezu vergessen. Meine Bemühungen, einen Verwandten oder Freund ausfindig zu machen, sind fehlgeschl­agen. Gangolf war ein angenommen­er Name. Ich habe seinen richtigen Familienna­men vergessen; vielleicht hat er ihn nie genannt“, schrieb dessen Verleger Ernst Rathenau 1964, im Berlin der Dreißiger Geschäftsf­ührer des Euphorion Verlages und von den Nazis in die Emigration gezwungen.

Nur wenige Dokumente

Gangolf publiziert­e ab 1907 Artikel im „Central-Organ der Sozialdemo­kratie Deutschlan­ds“, dem „Vorwärts“, und nahm wohl auch an Kundgebung­en teil. Doch vieles in seiner Biografie bleibt vage, es gibt eher wenige Dokumente und Belege auf eine aktive Betätigung. Immerhin geben seine Radierunge­n, Lithografi­en und Holzschnit­te sichtbare Hinweise auf seine Schaffensk­raft. Wie die allermeist­en Freigeiste­r war auch der jüdische Maler nach der

Machtergre­ifung durch die Nazis massiv Repressali­en ausgesetzt und um den Jahreswech­sel 1934/35 erstmals verhaftet worden. 1935 wurde der damals 55-Jährige ins Konzentrat­ionslager Esterwegen gebracht, im Folgejahr wieder. Hier verloren sich die Spuren.

Die Umstände der zeitweilig­en Entlassung aus dem KZ Esterwegen 1935 bleiben lange Zeit ebenso verborgen wie die der zweiten Verhaftung 1936 und die erneute Einweisung in das KZ Esterwegen. Zwei Tage nach seiner Einlieferu­ng am 12. August 1936 wurde Gangolf mit anderen Häftlingen in den nahen Esterweger Busch geführt und dort von der LagerSS bei einem Zwangsarbe­itseinsatz angeblich „auf der Flucht“erschossen. Der Leichnam wurde auf dem Lagerfried­hof Börgermoor bestattet und ist sehr wahrschein­lich bei einer Umbettung 1955 mit anderen Toten auf die Kriegsgräb­erstätte Versen verlegt worden. Für Paul Gangolfs Ermordung ist niemand zur Verantwort­ung gezogen worden.

 ?? BILD: Oliver Schulz ?? Auf dem Moorerlebn­ispfad Esterwegen nahe der Gedenkstät­te sind Schönheit der Natur und Schrecken der Zwangsarbe­it eng verbunden.
BILD: Oliver Schulz Auf dem Moorerlebn­ispfad Esterwegen nahe der Gedenkstät­te sind Schönheit der Natur und Schrecken der Zwangsarbe­it eng verbunden.

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