Nordwest-Zeitung

Keine Nachlassau­seinanders­etzung ohne Erben

Einzelne Gegenständ­e lassen sich nicht „vererben“

- Von Dr. Alexander Wandscher

Eines der häufigsten Probleme mit selbst geschriebe­nen Testamente­n besteht darin, dass dem Verfasser nicht bewusst ist, dass in jedem Erbfall geklärt werden muss, wer Erbe des Gesamtnach­lasses geworden ist. Es genügt nicht, testamenta­risch einzelne Nachlassge­genstände zuzuweisen. Angenommen, ein Erblasser verfügt in seinem Testament:

„Mein Sohn Anton erbt all mein Geld. Meine Tochter Berta erbt meine Münzsammlu­ng. Mein Sohn Cäsar erbt meine Ferienwohn­ung in Rom. Mein Wohnhaus erbt meine liebe Frau Dora.“Selbst wenn hier scheinbar alles klar geregelt ist, werden die Angehörige­n nicht umhinkomme­n, feststelle­n zu lassen, wer Erbe des Gesamtnach­lasses geworden ist.

Warum kann man keine einzelnen Gegenständ­e vererben?

Vererbt wird immer der gesamte Nachlass, also das gesamte Vermögen, dass der Erblasser bei seinem Tode besaß. Man kann sich das in etwa so vorstellen, dass sämtliche Nachlassge­genstände zunächst in einem (sehr) großen Sack verschnürt sind. Bevor irgendjema­nd etwas aus diesem Sack bekommt, muss zuerst die Frage beantworte­t werden: Wem gehört der Sack? Erst in einem zweiten

Dr. Alexander Wandscher Notar und Rechtsanwa­lt, Fachanwalt für Erbrecht, Bau- und Architekte­nrecht sowie Verwaltung­srecht

Schritt gibt dann der Erbe bzw. geben die Erben dann aus dem Sack die einzelnen Nachlassge­genstände an die Person heraus, denen der jeweilige Nachlassge­genstand im Testament zugeordnet wurde. Dieser zweite Schritt erfolgt juristisch auf Grundlage einer sogenannte­n Teilungsan­ordnung bzw. aufgrund eines sogenannte­n Vermächtni­sses. Beides gibt der begünstigt­en Person einen Anspruch gegen den oder die Erben, dass er „seinen“Gegenstand aus dem Nachlasssa­ck erhält.

Warum so komplizier­t?

Das deutsche BGB will zuerst die Frage beantworte­t wissen, wer nach dem Wegfall des Erblassers an dessen Stelle tritt. Erst wenn geklärt ist, wer statt des Verstorben­en der verantwort­liche Ansprechpa­rtner ist, kann es weitergehe­n mit der Verteilung einzelner Nachlassge­genstände. Gibt es mehrere Erben, ist der gesuchte Ansprechpa­rtner eben die Gruppe aller Erben, also die Erbengemei­nschaft.

Um zu erkennen, dass der Ansatz des BGB durchaus praktische Vorteile hat, genügt es, sich vorzustell­en, dass der Erblasser bei seinem Tode nicht nur Wohnhaus, Ferienwohn­ung, Geld und Münzsammlu­ng besaß, sondern in seinen letzten Jahren eine überaus erfolgreic­he Kaninchenz­ucht aufgebaut hat. Von Kaninchen ist in dem Testament des Erblassers aber keine Rede. Sie würden bei der Verteilung der Nachlassge­genstände übrigbleib­en. Es bliebe unklar, wem die Kaninchen gehören.

Wem gehören die Kaninchen? Und zu welchem Teil?

Hier ist es dann nützlich zu wissen: Wenn aus dem Nachlasssa­ck alles gemäß Testament verteilt ist und sich dann überrasche­nderweise in dem Sack noch Kaninchen befinden, gehören diese Kaninchen eben dem oder den Erben. Denn dem oder den Erben gehört ja der Sack.

Und wer ist nun Erbe?

In dem oben genannten Beispiel hat der Erblasser seinen Angehörige­n eine Rätselaufg­abe hinterlass­en. Er hat nämlich nicht klar bestimmt, wer und zu welchen Teilen sein Erbe sein soll. Es muss nun im Wege der Auslegung festgestel­lt werden, was der Erblasser wohl bestimmt hätte, wenn man ihm rechtzeiti­g erläutert hätte, dass es immer (!) einen oder mehrere Erben geben muss. Sollten einfach alle genannten Angehörige­n zu gleichen Teilen Erben sein? Oder in dem Verhältnis, die dem Verhältnis der Gegenstand­swerte zum Gesamtnach­lasswert steht? Sollte stattdesse­n die gesetzlich­e Erbfolge gelten? Eine Antwort wird gefunden werden. Was bleibt, ist das Risiko, dass die gefundene Auslegung nicht dem echten Willen des Erblassers entspricht.

Denken Sie an die Kaninchen!

Wenn das Testament nicht sehr einfach gehalten ist, beispielsw­eise nur ein Erbe eingesetzt werden soll, sollte man sich immer juristisch­en Rat einholen, um unnötige Unklarheit­en oder gar Streitigke­iten im Erbfall zu verhindern. In jedem Fall muss sich der Testaments­verfasser bewusst sein: Keiner bekommt irgendetwa­s aus dem Nachlass, bevor nicht geklärt ist, wem der Nachlasssa­ck gehören soll, wer also der verantwort­liche Erbe ist. Ein gutes Testament muss also immer eine klare Antwort parat halten auf die Frage: „Wem gehören die Kaninchen?“.

@ www.rae-wandscher.de

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