Omen aus Mainz und Stuttgart?
Was die Wahlen im Südwesten für die Politik im Bund bedeuten
Kaum hat sich der Pulverdampf des Wahlkampfs verzogen, breitet sich neuer Nebel aus: Die Framing-Künstler der Parteien schwärmen aus, um den Ereignissen von Mainz und Stuttgart den „richtigen“Dreh zu geben. Allerdings könnten die kaum klarer sein. Ein Blick in die Runde:
■ CDU
Die CDU erntet verdient, was sie gesät hat. Auch ohne das korrupte Treiben einiger Abgeordneter trägt sie über Kanzlerin, Bundesminister, Ministerpräsidenten und Abgeordnete die Hauptverantwortung für das Corona-Desaster. Die Masken-Affäre klebt an Gesundheitsminister Spahn, die Schlamperei bei den Auszahlungen staatlicher Hilfen an Wirtschaftsminister Altmaier. Das Staatsversagen bei der Impfkampagne trägt die Namen Merkel, von der Leyen und Spahn. Erstere präsidiert nur über die Situation. Außer immer neuen Lockdowns fällt ihr nichts ein. Ihre Partei erntet die Früchte der Ära: Da ist niemand, der überzeugend für christdemokratische Politik stehen könnte. Neben Merkel durfte eben niemand groß werden. Laschet ist ein Produkt des Systems Merkel, Söder profiliert sich durch viel Schaum, Geräusch und Aktionismus. Beide sind das traurige letzte Aufgebot einer Union, die einmal Politikern wie Kohl, Strauß oder Adenauer Heimat war.
■ SPD
Die SPD versucht, mit Jubel über Marie-Luise Dreyers Erfolg in Rheinland-Pfalz die Realität zu übertönen. Die sieht so aus: In Baden-Württemberg ging es noch einmal abwärts, und selbst in Rheinland-Pfalz verlor die SPD real Stimmen. Das kommt nicht von Ungefähr: Die SPD kann noch so sehr simulieren, dass sie ja eigentlich keine Verantwortung für das große CoronaVersagen trage.
Es bleibt die Tatsache, dass die Partei Teil der Bundesregierung ist und damit eben doch diese Verantwortung trägt – ganz zu schweigen von ihren Ministerpräsidenten, die ja ebenfalls mitmischen. Die bizarre Hinwendung zu linker Identitätspolitik unter dem Duo Esken/ Walter-Borjans dürfte zudem im traditionellen SPD-Milieu Befremden erregen.
■ DIE GRÜNEN
Die Grünen sind die strahlenden Sieger des Sonntags. Es ist völlig klar: In der einen oder anderen Form wird die Partei Teil der neuen Bundesregierung werden. Allerdings: Im Kern ist die Partei eben nicht die Partei des weitgehend pragmatischen und undogmatischen Winfried Kretschmann oder eines Boris Palmer,
des Tübinger Oberbürgermeisters. Im Kern ist sie vielmehr eine Erziehungspartei, die vor allem mittels Verboten die Menschen auf einen vermeintlich „richtigen“Pfad lenken will. Die jüngste Debatte um Einfamilienhäuser hat das einmal mehr gezeigt. Es steht zu befürchten, dass eine Regierung unter einem Bundeskanzler Habeck oder einer
Bundeskanzlerin Baerbock den Begriff „Freiheit“in diesem Lande zu einer hohlen Phrase verkommen ließe.
■ FDP
Die FDP ist der zweite Sieger des Wochenendes. Hier tut sich durchaus Interessantes. Allerdings muss sich die Partei entscheiden, wohin sie will: Geht es weiter mit dem Schlingerkurs zwischen „mitfühlendem Liberalismus“und Liberalismus ohne Attribute? Dann wird der positive Trend sich kaum nachhaltig fortsetzen. Für die Liberalen kommt es jetzt vielmehr darauf an, sich als eine Kraft zu profilieren, die sowohl in einer Ampelkoalition als auch in einer Jamaika-Konstellation als Korrektiv, und zwar als explizit freiheitliches Korrektiv, funktionieren würde.
■ AFD UND LINKSPARTEI
Die AfD hat sich einerseits als Teil des Parteiensystems etabliert. Damit zieht in der Frage einer parlamentarischen Rechten europäische Normalität in Deutschland ein. Andererseits sind die massiven Verluste verdiente Quittung für irrlichternde, von eitlem Gegockel begleitete Radikalisierung, die von denkenden wie bürgerlich empfindenden Menschen als Beleidigung empfunden werden muss. Vom Gemeinmachen mit Corona-Verschwörungsspinnern ganz zu schweigen. Die Linkspartei hingegen ist im Südwesten eine Dreiprozent-Partei. Der Wähler mag eben im Grunde keine Radikalen. Das ist die Parallele zur AfD, mit der man ja auch politisch einen Hang zum Totalitären teilt.
■ KOALITIONEN
Und nun? Sind Ampelkoalitionen, die in beiden Länder möglich wären, der neue Trend für Deutschland? Ein Vorbild für den Bund gar? Dem steht entgegen, dass es zurzeit – folgt man den Umfragen – dafür nicht reicht und noch ein langer Weg zu gehen wäre. Laute und intensive Spekulationen über die Ampel sollte man also unter dem Gesichtspunkt eines laufenden Wahlkampfes betrachten.