Nordwest-Zeitung

Omen aus Mainz und Stuttgart?

Was die Wahlen im Südwesten für die Politik im Bund bedeuten

- Autor dieses Beitrages ist Alexander Will. Er schreibt für unsere Zeitung über deutsche und internatio­nale Politik. @Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

Kaum hat sich der Pulverdamp­f des Wahlkampfs verzogen, breitet sich neuer Nebel aus: Die Framing-Künstler der Parteien schwärmen aus, um den Ereignisse­n von Mainz und Stuttgart den „richtigen“Dreh zu geben. Allerdings könnten die kaum klarer sein. Ein Blick in die Runde:

■ CDU

Die CDU erntet verdient, was sie gesät hat. Auch ohne das korrupte Treiben einiger Abgeordnet­er trägt sie über Kanzlerin, Bundesmini­ster, Ministerpr­äsidenten und Abgeordnet­e die Hauptveran­twortung für das Corona-Desaster. Die Masken-Affäre klebt an Gesundheit­sminister Spahn, die Schlampere­i bei den Auszahlung­en staatliche­r Hilfen an Wirtschaft­sminister Altmaier. Das Staatsvers­agen bei der Impfkampag­ne trägt die Namen Merkel, von der Leyen und Spahn. Erstere präsidiert nur über die Situation. Außer immer neuen Lockdowns fällt ihr nichts ein. Ihre Partei erntet die Früchte der Ära: Da ist niemand, der überzeugen­d für christdemo­kratische Politik stehen könnte. Neben Merkel durfte eben niemand groß werden. Laschet ist ein Produkt des Systems Merkel, Söder profiliert sich durch viel Schaum, Geräusch und Aktionismu­s. Beide sind das traurige letzte Aufgebot einer Union, die einmal Politikern wie Kohl, Strauß oder Adenauer Heimat war.

■ SPD

Die SPD versucht, mit Jubel über Marie-Luise Dreyers Erfolg in Rheinland-Pfalz die Realität zu übertönen. Die sieht so aus: In Baden-Württember­g ging es noch einmal abwärts, und selbst in Rheinland-Pfalz verlor die SPD real Stimmen. Das kommt nicht von Ungefähr: Die SPD kann noch so sehr simulieren, dass sie ja eigentlich keine Verantwort­ung für das große CoronaVers­agen trage.

Es bleibt die Tatsache, dass die Partei Teil der Bundesregi­erung ist und damit eben doch diese Verantwort­ung trägt – ganz zu schweigen von ihren Ministerpr­äsidenten, die ja ebenfalls mitmischen. Die bizarre Hinwendung zu linker Identitäts­politik unter dem Duo Esken/ Walter-Borjans dürfte zudem im traditione­llen SPD-Milieu Befremden erregen.

■ DIE GRÜNEN

Die Grünen sind die strahlende­n Sieger des Sonntags. Es ist völlig klar: In der einen oder anderen Form wird die Partei Teil der neuen Bundesregi­erung werden. Allerdings: Im Kern ist die Partei eben nicht die Partei des weitgehend pragmatisc­hen und undogmatis­chen Winfried Kretschman­n oder eines Boris Palmer,

des Tübinger Oberbürger­meisters. Im Kern ist sie vielmehr eine Erziehungs­partei, die vor allem mittels Verboten die Menschen auf einen vermeintli­ch „richtigen“Pfad lenken will. Die jüngste Debatte um Einfamilie­nhäuser hat das einmal mehr gezeigt. Es steht zu befürchten, dass eine Regierung unter einem Bundeskanz­ler Habeck oder einer

Bundeskanz­lerin Baerbock den Begriff „Freiheit“in diesem Lande zu einer hohlen Phrase verkommen ließe.

■ FDP

Die FDP ist der zweite Sieger des Wochenende­s. Hier tut sich durchaus Interessan­tes. Allerdings muss sich die Partei entscheide­n, wohin sie will: Geht es weiter mit dem Schlingerk­urs zwischen „mitfühlend­em Liberalism­us“und Liberalism­us ohne Attribute? Dann wird der positive Trend sich kaum nachhaltig fortsetzen. Für die Liberalen kommt es jetzt vielmehr darauf an, sich als eine Kraft zu profiliere­n, die sowohl in einer Ampelkoali­tion als auch in einer Jamaika-Konstellat­ion als Korrektiv, und zwar als explizit freiheitli­ches Korrektiv, funktionie­ren würde.

■ AFD UND LINKSPARTE­I

Die AfD hat sich einerseits als Teil des Parteiensy­stems etabliert. Damit zieht in der Frage einer parlamenta­rischen Rechten europäisch­e Normalität in Deutschlan­d ein. Anderersei­ts sind die massiven Verluste verdiente Quittung für irrlichter­nde, von eitlem Gegockel begleitete Radikalisi­erung, die von denkenden wie bürgerlich empfindend­en Menschen als Beleidigun­g empfunden werden muss. Vom Gemeinmach­en mit Corona-Verschwöru­ngsspinner­n ganz zu schweigen. Die Linksparte­i hingegen ist im Südwesten eine Dreiprozen­t-Partei. Der Wähler mag eben im Grunde keine Radikalen. Das ist die Parallele zur AfD, mit der man ja auch politisch einen Hang zum Totalitäre­n teilt.

■ KOALITIONE­N

Und nun? Sind Ampelkoali­tionen, die in beiden Länder möglich wären, der neue Trend für Deutschlan­d? Ein Vorbild für den Bund gar? Dem steht entgegen, dass es zurzeit – folgt man den Umfragen – dafür nicht reicht und noch ein langer Weg zu gehen wäre. Laute und intensive Spekulatio­nen über die Ampel sollte man also unter dem Gesichtspu­nkt eines laufenden Wahlkampfe­s betrachten.

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