900 Impfungen stehen in Oldenburg auf der Kippe
Praxis-Mitarbeiter sollten am Wochenende mit Astrazeneca geimpft werden
Oldenburg – Auch die Stadt Oldenburg muss bei den Impfungen gegen das Coronavirus angesichts des Aussetzens der Immunisierung mit Astrazeneca auf die Bremse treten: „Die Planungen für das Wochenende sind im Moment angehalten“, sagte Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (SPD) am Dienstag. „Wir wollten eine Gruppe von 900 Beschäftigten aus Oldenburger Arztpraxen impfen. Für die brauchen wir Planungssicherheit.“
Man warte dringend auf die Entscheidung des Bundes und der Europäischen Arzneimittelbehörde (Ema) zu dem Impfstoff, erklärte Krogmann. „Einige Tausend Menschen in unserer Stadt sind damit geimpft und benötigen die Zweitimpfung für einen vollständigen Schutz.“Immerhin beträgt bei Astrazeneca der
zwischen Erst- und Zweitimpfung zwölf Wochen.
Die Verwendung des Impfstoffes ist nach dem Auftreten von Blutgerinnseln bei einzelnen Geimpften in mehreren Ländern zunächst ausgesetzt worden. Einen Beleg für einen Zusammenhang mit der Impfung gibt es bisher nicht.
„Für die Impfung der über 80-Jährigen hat das zunächst
einmal keine Auswirkungen“, betonte Krogmann. „Die Termine bleiben bestehen, für diese Gruppe war Astrazeneca bislang gar nicht eingeplant. Für den Impfstoff von Biontech gibt es sogar heute die Ankündigung, dass kurzfristig zusätzliche Impfdosen nach Oldenburg geliefert werden.“
Insgesamt müssen in Niedersachsen durch das vorläuAbstand fige Aus für Astrazeneca etwa 160 000 Impf-Termine abgesagt beziehungsweise verlegt werden, teilte das Gesundheitsministerium in Hannover am Dienstag mit. Die Betroffenen sollen vom Land informiert werden und schnellstmöglich automatisch einen neuen Termin erhalten. „Über das System der Warteliste werden diese Personen als erste mit einem neuen Termin versorgt, sobald entsprechende Impfstoffe in den Impfzentren vorhanden sind“, hieß es.
Der Impfstoff von Astrazeneca macht in Niedersachsen rund ein Viertel der Impfkapazität aus. Seit dem 1. Februar habe es damit 157 523 Erstimpfungen gegeben, Zweitimpfungen wurden noch nicht verabreicht.
■ Welche Folgen hat der Astrazeneca-Stopp für Deutschland? Lesen Sie dazu ein FrageAntwort-Stück auf
Berlin/Amsterdam – Wieder einmal ruhen die Hoffnungen von Politikern in Deutschland auf einer Behörde in einem schmucklosen Bürogebäude in Amsterdams Süden. Hier, bei der Europäischen Arzneimittelagentur Ema, soll das Signal gegeben werden, ob der Impfstoff von Astrazeneca weiterverwendet wird. Sagt die Ema Stopp, müsste der Impfplan für Deutschland umgeschrieben werden. Die Regierung sieht unerwartete Probleme auf sich zurollen.
Was sagt die Ema zu Astrazeneca
Dass sie am Donnerstag eine Einschätzung zu möglichen Risiken und zur weiteren Verwendung des Impfstoffs abgeben will. Bis dahin gibt sie schon einmal etwas Entwarnung: Stand heute seien die Vorteile zur Verhinderung von Covid-19 größer als das Risiko, sagt Ema-Chefin Emer Cooke. Die 59-jährige Pharmazeutin aus Irland versucht, die Wogen zu glätten: Unerwartet kämen Erkrankungen nach einer Impfung nicht, wenn man Millionen Menschen impfe. Aber: Nebenwirkung oder Zufall? Die entscheidende Frage prüft die Ema noch.
Was sind die nächsten Schritte in Deutschland
Schon bisher war der genaue Fortgang der Impfkampagne unklar – sollen die Hausärzte spätestens ab 19. April groß einsteigen? Das hatten die Gesundheitsminister von Bund und Ländern vergangene Woche empfohlen. Eine für diesen Mittwoch geplante Telefonschalte zum Impfen sagten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten ab – Wiedervorlage nach Entscheidung der Ema.
War der vorläufige Impfstopp hierzulande nötig
Die einen sagen: Nein, das zerstört Vertrauen. Grüne und FDP schlagen vor, dass man sich freiwillig mit dem Astrazeneca-Stoff
impfen lassen kann. Das Bundesgesundheitsministerium von Jens Spahn (CDU) verteidigt den Stopp. Seit Freitag seien drei neue Fälle von HirnvenenThrombosen nach einer Impfung gemeldet worden. Damit gab es in Deutschland sechs Fälle plus einen vergleichbaren Fall, drei davon tödlich. Trotz der hohen Zahl von 1,6 Millionen Impfungen mit Astrazeneca sei das „überdurchschnittlich“. Für Experten sei ein Zusammenhang mit der Impfung „nicht unplausibel“, erklärte das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Das Bundesgesundheitsministerium meint: Auf jeden Fall müssen Ärzte über die neuen Fakten und Impfbereite über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt werden – selbst wenn der Stoff wieder erlaubt ist.
Wer ist nach der Impfung erkrankt
Menschen zwischen etwa 20 und 50 Jahren, darunter sechs Frauen, so das PEI. Bei dieser Art von Thrombose kommt es zu einem Verschluss bestimmter Venen im Gehirn durch Blutgerinnsel. Die Folge: Kopfschmerzen. Zudem können epileptische Anfälle, Lähmungen, Sprachstörungen oder Blutungen auftreten.
Gibt es sonst weniger Hirnvenen-Thrombosen
Ja. Bei der geimpften Personengruppe und in einem Zeitraum von 14 Tagen nach Impfung sind statistisch gesehen bei 1,6 Millionen Impfungen 1 bis 1,4 solche Thrombosen zu erwarten – nicht aber 7. Auch bei Anti-Baby-Pillen sind Thrombosen, auch mit tödlichem Verlauf, als sehr seltene Nebenwirkung bekannt. Dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach zufolge ist dies aber nicht vergleichbar.
Was ist mit Menschen, die schon eine Astrazeneca-Impfung haben
Wer vier bis 14 Tage nach der Impfspritze anhaltende Kopfschmerzen oder Hautblutungen entwickelt, soll sofort zum Arzt. Impfschutz wiederum gibt es nach der Erstimpfung in abgeschwächter Form schon. Gegen schwere Verläufe von Covid-19 ist man dann schon geschützt. Mindestens sechs Monate soll dieser Schutz halten.
Ist der ganze Impfplan jetzt Makulatur
Wenn die Ema bei ihrem bisher positivem Votum für den Astrazeneca-Stoff bleibt, ohnehin nicht. Aber auch sonst eigentlich nicht komplett. Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung rechnet dem „Handelsblatt“zufolge mit einer Verzögerung um mehrere Wochen, wenn es beim Astrazeneca-Stopp bleibt. Alle Menschen über 60 wären aber Anfang Juli durchgeimpft. Es kommt auch immer wieder zur Aufstockung der prognostizierten Liefermengen – so kann die EU von Biontech/Pfizer nun kurzfristig im zweiten Quartal weitere 10 Millionen Dosen Covid-19Impfstoff bekommen.