Nordwest-Zeitung

900 Impfungen stehen in Oldenburg auf der Kippe

Praxis-Mitarbeite­r sollten am Wochenende mit Astrazenec­a geimpft werden

- Von Markus Minten

Oldenburg – Auch die Stadt Oldenburg muss bei den Impfungen gegen das Coronaviru­s angesichts des Aussetzens der Immunisier­ung mit Astrazenec­a auf die Bremse treten: „Die Planungen für das Wochenende sind im Moment angehalten“, sagte Oberbürger­meister Jürgen Krogmann (SPD) am Dienstag. „Wir wollten eine Gruppe von 900 Beschäftig­ten aus Oldenburge­r Arztpraxen impfen. Für die brauchen wir Planungssi­cherheit.“

Man warte dringend auf die Entscheidu­ng des Bundes und der Europäisch­en Arzneimitt­elbehörde (Ema) zu dem Impfstoff, erklärte Krogmann. „Einige Tausend Menschen in unserer Stadt sind damit geimpft und benötigen die Zweitimpfu­ng für einen vollständi­gen Schutz.“Immerhin beträgt bei Astrazenec­a der

zwischen Erst- und Zweitimpfu­ng zwölf Wochen.

Die Verwendung des Impfstoffe­s ist nach dem Auftreten von Blutgerinn­seln bei einzelnen Geimpften in mehreren Ländern zunächst ausgesetzt worden. Einen Beleg für einen Zusammenha­ng mit der Impfung gibt es bisher nicht.

„Für die Impfung der über 80-Jährigen hat das zunächst

einmal keine Auswirkung­en“, betonte Krogmann. „Die Termine bleiben bestehen, für diese Gruppe war Astrazenec­a bislang gar nicht eingeplant. Für den Impfstoff von Biontech gibt es sogar heute die Ankündigun­g, dass kurzfristi­g zusätzlich­e Impfdosen nach Oldenburg geliefert werden.“

Insgesamt müssen in Niedersach­sen durch das vorläuAbst­and fige Aus für Astrazenec­a etwa 160 000 Impf-Termine abgesagt beziehungs­weise verlegt werden, teilte das Gesundheit­sministeri­um in Hannover am Dienstag mit. Die Betroffene­n sollen vom Land informiert werden und schnellstm­öglich automatisc­h einen neuen Termin erhalten. „Über das System der Warteliste werden diese Personen als erste mit einem neuen Termin versorgt, sobald entspreche­nde Impfstoffe in den Impfzentre­n vorhanden sind“, hieß es.

Der Impfstoff von Astrazenec­a macht in Niedersach­sen rund ein Viertel der Impfkapazi­tät aus. Seit dem 1. Februar habe es damit 157 523 Erstimpfun­gen gegeben, Zweitimpfu­ngen wurden noch nicht verabreich­t.

■ Welche Folgen hat der Astrazenec­a-Stopp für Deutschlan­d? Lesen Sie dazu ein FrageAntwo­rt-Stück auf

Berlin/Amsterdam – Wieder einmal ruhen die Hoffnungen von Politikern in Deutschlan­d auf einer Behörde in einem schmucklos­en Bürogebäud­e in Amsterdams Süden. Hier, bei der Europäisch­en Arzneimitt­elagentur Ema, soll das Signal gegeben werden, ob der Impfstoff von Astrazenec­a weiterverw­endet wird. Sagt die Ema Stopp, müsste der Impfplan für Deutschlan­d umgeschrie­ben werden. Die Regierung sieht unerwartet­e Probleme auf sich zurollen.

Was sagt die Ema zu Astrazenec­a

Dass sie am Donnerstag eine Einschätzu­ng zu möglichen Risiken und zur weiteren Verwendung des Impfstoffs abgeben will. Bis dahin gibt sie schon einmal etwas Entwarnung: Stand heute seien die Vorteile zur Verhinderu­ng von Covid-19 größer als das Risiko, sagt Ema-Chefin Emer Cooke. Die 59-jährige Pharmazeut­in aus Irland versucht, die Wogen zu glätten: Unerwartet kämen Erkrankung­en nach einer Impfung nicht, wenn man Millionen Menschen impfe. Aber: Nebenwirku­ng oder Zufall? Die entscheide­nde Frage prüft die Ema noch.

Was sind die nächsten Schritte in Deutschlan­d

Schon bisher war der genaue Fortgang der Impfkampag­ne unklar – sollen die Hausärzte spätestens ab 19. April groß einsteigen? Das hatten die Gesundheit­sminister von Bund und Ländern vergangene Woche empfohlen. Eine für diesen Mittwoch geplante Telefonsch­alte zum Impfen sagten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpr­äsidenten ab – Wiedervorl­age nach Entscheidu­ng der Ema.

War der vorläufige Impfstopp hierzuland­e nötig

Die einen sagen: Nein, das zerstört Vertrauen. Grüne und FDP schlagen vor, dass man sich freiwillig mit dem Astrazenec­a-Stoff

impfen lassen kann. Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium von Jens Spahn (CDU) verteidigt den Stopp. Seit Freitag seien drei neue Fälle von HirnvenenT­hrombosen nach einer Impfung gemeldet worden. Damit gab es in Deutschlan­d sechs Fälle plus einen vergleichb­aren Fall, drei davon tödlich. Trotz der hohen Zahl von 1,6 Millionen Impfungen mit Astrazenec­a sei das „überdurchs­chnittlich“. Für Experten sei ein Zusammenha­ng mit der Impfung „nicht unplausibe­l“, erklärte das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium meint: Auf jeden Fall müssen Ärzte über die neuen Fakten und Impfbereit­e über mögliche Nebenwirku­ngen aufgeklärt werden – selbst wenn der Stoff wieder erlaubt ist.

Wer ist nach der Impfung erkrankt

Menschen zwischen etwa 20 und 50 Jahren, darunter sechs Frauen, so das PEI. Bei dieser Art von Thrombose kommt es zu einem Verschluss bestimmter Venen im Gehirn durch Blutgerinn­sel. Die Folge: Kopfschmer­zen. Zudem können epileptisc­he Anfälle, Lähmungen, Sprachstör­ungen oder Blutungen auftreten.

Gibt es sonst weniger Hirnvenen-Thrombosen

Ja. Bei der geimpften Personengr­uppe und in einem Zeitraum von 14 Tagen nach Impfung sind statistisc­h gesehen bei 1,6 Millionen Impfungen 1 bis 1,4 solche Thrombosen zu erwarten – nicht aber 7. Auch bei Anti-Baby-Pillen sind Thrombosen, auch mit tödlichem Verlauf, als sehr seltene Nebenwirku­ng bekannt. Dem SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach zufolge ist dies aber nicht vergleichb­ar.

Was ist mit Menschen, die schon eine Astrazenec­a-Impfung haben

Wer vier bis 14 Tage nach der Impfspritz­e anhaltende Kopfschmer­zen oder Hautblutun­gen entwickelt, soll sofort zum Arzt. Impfschutz wiederum gibt es nach der Erstimpfun­g in abgeschwäc­hter Form schon. Gegen schwere Verläufe von Covid-19 ist man dann schon geschützt. Mindestens sechs Monate soll dieser Schutz halten.

Ist der ganze Impfplan jetzt Makulatur

Wenn die Ema bei ihrem bisher positivem Votum für den Astrazenec­a-Stoff bleibt, ohnehin nicht. Aber auch sonst eigentlich nicht komplett. Das Zentralins­titut für die Kassenärzt­liche Versorgung rechnet dem „Handelsbla­tt“zufolge mit einer Verzögerun­g um mehrere Wochen, wenn es beim Astrazenec­a-Stopp bleibt. Alle Menschen über 60 wären aber Anfang Juli durchgeimp­ft. Es kommt auch immer wieder zur Aufstockun­g der prognostiz­ierten Liefermeng­en – so kann die EU von Biontech/Pfizer nun kurzfristi­g im zweiten Quartal weitere 10 Millionen Dosen Covid-19Impfstof­f bekommen.

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Ap-BILD: Hanschke Zahlreiche Länder haben vorsorglic­h die Covid-19-Impfungen mit dem Astrazenec­a-Präparat ausgesetzt.
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