Flüchtlingspakt vor der Neuauflage
Wie die Situation fünf Jahre nach dem Abkommen zwischen EU und Türkei aussieht
Brüssel/Ankara – Hunderttausende Flüchtlinge kamen 2016 in die EU: Unter massivem Druck handelte Brüssel den Flüchtlingspakt mit dem wichtigen Transitland Türkei aus. Fünf Jahre später kommen zwar deutlich weniger Migranten. Doch der Deal ist brüchig. Beim EU-Gipfel Ende März dürften die Mitgliedstaaten über die künftigen Beziehungen beraten. Hat der Pakt eine Zukunft?
■ GRENZSCHUTZ
Ankara verspricht in dem Abkommen, „alle erforderlichen Maßnahmen“zu ergreifen, um neue See- und Landrouten für illegale Migration von der Türkei in die EU zu verhindern. Dagegen verstieß die Türkei im Frühjahr 2020, als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Grenzen zu Griechenland zeitweise für offen erklärte. Trotzdem kamen weniger Menschen auf den griechischen Inseln an. 2019 waren es laut UN knapp 60000, im Corona-Jahr 2020 sogar nur 9714. 2015 waren es noch rund 857 000.
■ UMSIEDLUNG
Die Türkei verpflichtet sich, jeden Migranten, der irregulär auf die griechischen Inseln gelangt und kein Asyl erhält, zurückzunehmen. Im Gegenzug will die EU für jeden rückgeführten Syrer mindestens einen anderen Syrer aus der Türkei aufnehmen. Das funktioniert jedoch kaum – unter anderem, weil die Griechen mit dem Bearbeiten der Asylanträge auf den Inseln nicht hinterherkamen. Bis März schickte die EU rund 2740 Migranten zurück in die Türkei, die EU-Staaten nahmen 28 621 Menschen auf – weniger als in Aussicht gestellt.
In der Corona-Krise rückten beide Seiten vom Pakt ab. Seit August nimmt die EU wieder Syrer auf, die Türkei nicht.
■ GELD
Ankara fordert regelmäßig mehr Geld. Abgemacht ist: Zur Versorgung der Menschen bekommt die Türkei sechs Milliarden Euro für Flüchtlingsprojekte. Mehr als vier Milliarden Euro sind bislang ausbezahlt. 2020 wurden weitere rund 500 Millionen Euro zugesagt.
■ VISAFREIHEIT
Die EU stellte der Türkei 2016
eine Abschaffung der Visumspflicht für türkische Staatsbürger in Aussicht. Daran sind allerdings 72 Bedingungen geknüpft. Die meisten davon hat Ankara erfüllt, doch ausgerechnet diese nicht: die Änderung der Anti-Terror-Gesetze in der Türkei.
■ AUSBAU DER ZOLLUNION
Die Union für weniger Handelshemmnisse sollte modernisiert werden. Davon würde die Türkei wirtschaftlich stark profitieren. Daraus wurde allerdings nichts – unter anderem wegen der ungeklärten Zypern-Frage.
■ EU-BEITRITT
Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei laufen seit 2005. Im Abkommen heißt es, der Prozess solle neu belebt werden. Derzeit liegt er auf Eis. Manche EU-Staaten wollen sogar den Abbruch.
■ Pakt-Neuauflage
Für beide Seiten hat der Flüchtlingspakt Vorteile. Die EU kann sich schon seit Jahren nicht auf eine Reform der Asylpolitik einigen – solange scheinen Abkommen mit Drittstaaten eine willkommene Lösung. Die Türkei profitiert von der Unterstützung aus Brüssel.