Corona-Risiken größer als Impfstoff-Nebenwirkungen
Virologe Professor Hamprecht zum Umgang mit Astrazeneca – „Es geht um Güterabwägung“
Rechtfertigen die Risiken beim Impfstoff Astrazeneca, die Verwendung auszusetzen? Hamprecht: Das Paul-EhrlichInstitut hat die Aufgabe, die Sicherheit von Impfstoffen zu überprüfen. Das Institut erhält alle Berichte von möglichen Nebenwirkungen und verfügt somit über sehr viele Daten, die uns so nicht vorliegen. Das PEI macht sich eine Entscheidung wie die Empfehlung, Astrazeneca vorerst auszusetzen nicht leicht. Ich kann nach allem was bekannt ist, die Entscheidung aus Sicht des PEIs nachvollziehen, wenn ich sie auch hinsichtlich der Pandemie-Bekämpfung bedauere.
Welche Risiken sind bekannt, wer ist besonders gefährdet? Hamprecht: Es wurden in Deutschland bislang sieben Fälle von 1,6 Millionen Geimpften bekannt, bei denen es im zeitlichen Zusammenhang mit einer Astrazeneca-Impfung zu Blutgerinnseln oder Blutungen verbunden mit Störungen der Blutplättchen gekommen ist. In sechs dieser Fälle haben sich Gerinnsel in Gehirnvenen gebildet, sogenannte Sinusvenenthrombosen. Diese Form von Thrombosen kann auch spontan auftreten. Allerdings sind im zeitlichen Zusammenhang mehr
Fälle als erwartet aufgetreten – statistisch gesehen würde spontan etwa ein Fall auf 1,6 Millionen Personen innerhalb von 14 Tagen auftreten. Ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen Impfungen und diesen speziellen Thrombosen gibt, wird untersucht. Astrazeneca wurde in Deutschland bislang bei jüngeren Menschen eingesetzt, vor allem im medizinischen
Bereich. Dort arbeiten überproportional viele Frauen. Es ist bekannt, dass Frauen von Thrombosen häufiger betroffen sind als Männer. In Großbritannien, wo Astrazeneca breiter eingesetzt wird als in Deutschland, sind solche Auffälligkeiten bisher nicht bekannt. Das und andere Punkte sind zu klären.
Impfungen sind von zentraler Bedeutung für die PandemieBekämpfung. Ist es zu verantworten, wegen dieser Fälle mit den Impfungen zu pausieren? Hamprecht: Es geht um Güterabwägung. Die Sicherheit der Patienten auf der einen Seite, die Notwendigkeit zum Schutz vor einer Infektion auf der anderen. Alle Medikamente haben bestimmte unerwünschte Wirkungen, werden aber eingesetzt, weil der Nutzen bei Weitem überwiegt. Das Risiko, an Corona zu sterben, ist real und in der derzeitigen Lage für viele Personen deutlich höher, als die seltene Nebenwirkung einer Sinusvenenthrombose, die nach unserem derzeitigen Wissen etwa bei einem von 230000 Personen auftritt. Ich könnte mir vorstellen, dass die Impfungen mit Astrazeneca schon bald wieder aufgenommen werden – dann mit einem besonderen Hinweis auf diese seltene Nebenwirkung in der Patientenaufklärung oder auf bestimmte Risikokonstellationen. Wir lernen ständig über die Impfstoffe dazu, und es werden künftig weitere zugelassen werden. Vermutlich wird es Empfehlungen geben, ob bestimmte Präparate für bestimmte Personengruppen besser und andere weniger geeignet sind. Wir müssen die weitere Beurteilung des PEI und der Europäischen Arzneimittelagentur Ema abwarten. Vielleicht können wir nächste Woche schon wieder impfen.