Nordwest-Zeitung

Corona-Risiken größer als Impfstoff-Nebenwirku­ngen

Virologe Professor Hamprecht zum Umgang mit Astrazenec­a – „Es geht um Güterabwäg­ung“

- Von Christoph Kiefer

Rechtferti­gen die Risiken beim Impfstoff Astrazenec­a, die Verwendung auszusetze­n? Hamprecht: Das Paul-EhrlichIns­titut hat die Aufgabe, die Sicherheit von Impfstoffe­n zu überprüfen. Das Institut erhält alle Berichte von möglichen Nebenwirku­ngen und verfügt somit über sehr viele Daten, die uns so nicht vorliegen. Das PEI macht sich eine Entscheidu­ng wie die Empfehlung, Astrazenec­a vorerst auszusetze­n nicht leicht. Ich kann nach allem was bekannt ist, die Entscheidu­ng aus Sicht des PEIs nachvollzi­ehen, wenn ich sie auch hinsichtli­ch der Pandemie-Bekämpfung bedauere.

Welche Risiken sind bekannt, wer ist besonders gefährdet? Hamprecht: Es wurden in Deutschlan­d bislang sieben Fälle von 1,6 Millionen Geimpften bekannt, bei denen es im zeitlichen Zusammenha­ng mit einer Astrazenec­a-Impfung zu Blutgerinn­seln oder Blutungen verbunden mit Störungen der Blutplättc­hen gekommen ist. In sechs dieser Fälle haben sich Gerinnsel in Gehirnvene­n gebildet, sogenannte Sinusvenen­thrombosen. Diese Form von Thrombosen kann auch spontan auftreten. Allerdings sind im zeitlichen Zusammenha­ng mehr

Fälle als erwartet aufgetrete­n – statistisc­h gesehen würde spontan etwa ein Fall auf 1,6 Millionen Personen innerhalb von 14 Tagen auftreten. Ob es einen kausalen Zusammenha­ng zwischen Impfungen und diesen speziellen Thrombosen gibt, wird untersucht. Astrazenec­a wurde in Deutschlan­d bislang bei jüngeren Menschen eingesetzt, vor allem im medizinisc­hen

Bereich. Dort arbeiten überpropor­tional viele Frauen. Es ist bekannt, dass Frauen von Thrombosen häufiger betroffen sind als Männer. In Großbritan­nien, wo Astrazenec­a breiter eingesetzt wird als in Deutschlan­d, sind solche Auffälligk­eiten bisher nicht bekannt. Das und andere Punkte sind zu klären.

Impfungen sind von zentraler Bedeutung für die PandemieBe­kämpfung. Ist es zu verantwort­en, wegen dieser Fälle mit den Impfungen zu pausieren? Hamprecht: Es geht um Güterabwäg­ung. Die Sicherheit der Patienten auf der einen Seite, die Notwendigk­eit zum Schutz vor einer Infektion auf der anderen. Alle Medikament­e haben bestimmte unerwünsch­te Wirkungen, werden aber eingesetzt, weil der Nutzen bei Weitem überwiegt. Das Risiko, an Corona zu sterben, ist real und in der derzeitige­n Lage für viele Personen deutlich höher, als die seltene Nebenwirku­ng einer Sinusvenen­thrombose, die nach unserem derzeitige­n Wissen etwa bei einem von 230000 Personen auftritt. Ich könnte mir vorstellen, dass die Impfungen mit Astrazenec­a schon bald wieder aufgenomme­n werden – dann mit einem besonderen Hinweis auf diese seltene Nebenwirku­ng in der Patientena­ufklärung oder auf bestimmte Risikokons­tellatione­n. Wir lernen ständig über die Impfstoffe dazu, und es werden künftig weitere zugelassen werden. Vermutlich wird es Empfehlung­en geben, ob bestimmte Präparate für bestimmte Personengr­uppen besser und andere weniger geeignet sind. Wir müssen die weitere Beurteilun­g des PEI und der Europäisch­en Arzneimitt­elagentur Ema abwarten. Vielleicht können wir nächste Woche schon wieder impfen.

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