„Am Ende trifft es wieder die Ärmsten“
Angehörigen drohen neue Belastungen – Budget zur Nutzung soll halbiert werden
Ganderkesee – Für viele Senioren sind Tagespflegen eine wichtige Hilfe, um Pflege- und Betreuungsangebote zu nutzen, ohne gleich in eine Senioreneinrichtung ziehen zu müssen. Auch die sie zu Hause pflegenden Angehörigen werden so für einige Stunden entlastet. Doch jetzt wackelt die Finanzierung dieser wichtigen Stütze in der Pflegekette. Seit das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ein Eckpunktepapier zur Pflegereform 2021 vorgestellt hat, liegen sowohl bei Betroffenen als auch bei Einrichtungsbetreibern die Nerven blank.
■
Der Grund: Vorgeschlagen wird die Halbierung des Tagespflegebudgets bei gleichzeitiger Nutzung von ambulanter Pflege. Für viele Pflegebedürftige wäre die Versorgung zu Hause wohl nicht mehr möglich. Denn sie müssten auf das Pflegegeld oder die Sachleistungen eines Pflegedienstes verzichten, oder alles selbst bezahlen, um in den vollen Genuss des Tagespflege-Betrags zu kommen.
■
„Fehlanreize“sollten beseitigt werden, begründet das BMG seinen Vorstoß. Wenn Anbieter auf Pflegeangebote setzten, die gewisse Wohnformen mit der Tagespflege verbänden, führe eine geschickte Kombination aller im ambulanten Bereich möglichen Leistungen zu einer erheblichen Kostenausweitung, ohne die Qualitätsanforderungen eines „echten“Pflegeheims zu erfüllen.
■
Was Betroffene sorgt
Sinn der Kürzungen
Was Pflegende fürchten
Für Erika Lisson, in Ganderkesee (Kreis Oldenburg) Mitglied
Für eine ganze Reihe an Senioren sind Tagespflegen eine wichtige Hilfe: Denn Pflege- und Betreuungsangebote können in Anspruch genommen werden, ohne auf Dauer stationär in eine Einrichtung ziehen zu müssen.
der Lotsen für pflegende Angehörige, drohen eine ganze Reihe an „Kollateralschäden“: „Das wird am Ende wieder die Ärmsten treffen, vor allem dementiell Erkrankten schaden und Deutschlands größten Pflegedienst, die Familie, erheblich schwächen“, sagt sie.
Wenn’s im Portemonnaie eng werde, würden viele Angehörige ihre Pflegebedürftigen aus den Tagespflegen nehmen. Lisson: „Pflegende hätten keine Pausen oder Ablösung mehr, schlimmer noch, sie müssten eventuell ihren Job aufgeben.“Das beträfe meist pflegende Frauen, die jetzt schon teils nur noch halbtags arbeiten könnten.
■
Die Awo Weser-Ems
Eine deutliche Position bezieht Thore Wintermann, Verbandsgeschäftsführer des Awo-Bezirksverbands WeserEms. Über ihren Kreisverband
Delmenhorst betreibt die Arbeiterwohlfahrt Tagespflegen auch in Delmenhorst und Ganderkesee. Die hinter den Reformbemühungen steckende
Marktsteuerung sei grundsätzlich richtig. Durch besondere „Setting-Tricks“praktisch ein Altenpflegeheim anzubieten, ohne wirklich eines zu haben,
und unter das Heimgesetz zu fallen, sei falsch. Reine Tagespflegen sollten aber nicht leiden. Wintermann warnt: „Die Pflegebedürftigen dürfen nicht ihr zweites Zuhause verlieren.“Als Ort der Betreuung sei das Angebot unverzichtbar. „Für die Gäste ist die Tagespflege Teil des Lebens geworden.“
■
Was jetzt zu tun ist
Um eine Budgetkürzung zu vermeiden, haben sich die Betreiberinnen der Ganderkeseer Tagespflege „SenioriTa“an die örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete Susanne Mittag gewandt. Auch vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) erhoffen sie sich Hilfe. Inzwischen gibt es auch eine Online-Petition, um die Kürzung aus dem Entwurf zu streichen.
@ https://tinyurl.com/Tagespflegepetition