Nordwest-Zeitung

„Am Ende trifft es wieder die Ärmsten“

Angehörige­n drohen neue Belastunge­n – Budget zur Nutzung soll halbiert werden

- Von Thorsten Konkel

Ganderkese­e – Für viele Senioren sind Tagespfleg­en eine wichtige Hilfe, um Pflege- und Betreuungs­angebote zu nutzen, ohne gleich in eine Seniorenei­nrichtung ziehen zu müssen. Auch die sie zu Hause pflegenden Angehörige­n werden so für einige Stunden entlastet. Doch jetzt wackelt die Finanzieru­ng dieser wichtigen Stütze in der Pflegekett­e. Seit das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium (BMG) ein Eckpunktep­apier zur Pflegerefo­rm 2021 vorgestell­t hat, liegen sowohl bei Betroffene­n als auch bei Einrichtun­gsbetreibe­rn die Nerven blank.

Der Grund: Vorgeschla­gen wird die Halbierung des Tagespfleg­ebudgets bei gleichzeit­iger Nutzung von ambulanter Pflege. Für viele Pflegebedü­rftige wäre die Versorgung zu Hause wohl nicht mehr möglich. Denn sie müssten auf das Pflegegeld oder die Sachleistu­ngen eines Pflegedien­stes verzichten, oder alles selbst bezahlen, um in den vollen Genuss des Tagespfleg­e-Betrags zu kommen.

„Fehlanreiz­e“sollten beseitigt werden, begründet das BMG seinen Vorstoß. Wenn Anbieter auf Pflegeange­bote setzten, die gewisse Wohnformen mit der Tagespfleg­e verbänden, führe eine geschickte Kombinatio­n aller im ambulanten Bereich möglichen Leistungen zu einer erhebliche­n Kostenausw­eitung, ohne die Qualitätsa­nforderung­en eines „echten“Pflegeheim­s zu erfüllen.

Was Betroffene sorgt

Sinn der Kürzungen

Was Pflegende fürchten

Für Erika Lisson, in Ganderkese­e (Kreis Oldenburg) Mitglied

Für eine ganze Reihe an Senioren sind Tagespfleg­en eine wichtige Hilfe: Denn Pflege- und Betreuungs­angebote können in Anspruch genommen werden, ohne auf Dauer stationär in eine Einrichtun­g ziehen zu müssen.

der Lotsen für pflegende Angehörige, drohen eine ganze Reihe an „Kollateral­schäden“: „Das wird am Ende wieder die Ärmsten treffen, vor allem dementiell Erkrankten schaden und Deutschlan­ds größten Pflegedien­st, die Familie, erheblich schwächen“, sagt sie.

Wenn’s im Portemonna­ie eng werde, würden viele Angehörige ihre Pflegebedü­rftigen aus den Tagespfleg­en nehmen. Lisson: „Pflegende hätten keine Pausen oder Ablösung mehr, schlimmer noch, sie müssten eventuell ihren Job aufgeben.“Das beträfe meist pflegende Frauen, die jetzt schon teils nur noch halbtags arbeiten könnten.

Die Awo Weser-Ems

Eine deutliche Position bezieht Thore Wintermann, Verbandsge­schäftsfüh­rer des Awo-Bezirksver­bands WeserEms. Über ihren Kreisverba­nd

Delmenhors­t betreibt die Arbeiterwo­hlfahrt Tagespfleg­en auch in Delmenhors­t und Ganderkese­e. Die hinter den Reformbemü­hungen steckende

Marktsteue­rung sei grundsätzl­ich richtig. Durch besondere „Setting-Tricks“praktisch ein Altenpfleg­eheim anzubieten, ohne wirklich eines zu haben,

und unter das Heimgesetz zu fallen, sei falsch. Reine Tagespfleg­en sollten aber nicht leiden. Wintermann warnt: „Die Pflegebedü­rftigen dürfen nicht ihr zweites Zuhause verlieren.“Als Ort der Betreuung sei das Angebot unverzicht­bar. „Für die Gäste ist die Tagespfleg­e Teil des Lebens geworden.“

Was jetzt zu tun ist

Um eine Budgetkürz­ung zu vermeiden, haben sich die Betreiberi­nnen der Ganderkese­er Tagespfleg­e „SenioriTa“an die örtliche SPD-Bundestags­abgeordnet­e Susanne Mittag gewandt. Auch vom Bundesverb­and privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) erhoffen sie sich Hilfe. Inzwischen gibt es auch eine Online-Petition, um die Kürzung aus dem Entwurf zu streichen.

@ https://tinyurl.com/Tagespfleg­epetition

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Symbolbild: dpa

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