Woelki entlastet, Heße belastet
So ging das Erzbistum Köln mit Missbrauchsfällen um – Gutachten veröffentlicht
Köln – Mehr als 1000 Worte sagt vielleicht der Titel des Aktenordners, in dem der frühere Kölner Erzbischof Joachim Meisner (1933-2017) geheimhaltungsbedürftige Unterlagen aufbewahrte: „Brüder im Nebel“. Der Nebel ist seit Donnerstag etwas gelichtet. Denn der Kölner Strafrechtsanwalt Björn Gercke hat in seinem juristischen Gutachten die Namen der Verantwortlichen benannt, die jahrelang im Erzbistum Köln Missbrauchsfälle vertuscht und Täter geschützt haben. Zwar hätten er, die Juristin Kerstin Stirner und ihre Kollegen keine „systematische Vertuschung“durch Verantwortungsträger des Erzbistums feststellen können.
Doch habe es jahrzehntelang eine systembedingte Vertuschung gegeben. Sie kennzeichnete sich nach den Worten der Gutachter durch massive Rechtsunkenntnis, unklare Zuständigkeiten, mangelhafte Aktenführung sowie Überforderung. Stirner sprach von Chaos.
Lange Liste
Die Liste der Verantwortlichen ist lang: Pflichtverstöße fanden die Gutachter unter anderen bei den früheren Kölner Erzbischöfen Kardinal Joseph Höffner (1906-1987) und Kardinal Joachim Meisner (1933-2017) sowie bei Weihbischof Dominikus Schwaderlapp in seiner Zeit als Generalvikar und beim Hamburger Erzbischof Stefan Heße aus dessen Zeit als Generalvikar. Der aktuelle Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki hat demnach nicht gegen seine Pflichten verstoßen.
Woelki suspendierte noch am Donnerstag Weihbischof Schwaderlapp und den Kölner Offizial Günter Assenmacher, der ebenfalls belastet wird.
Heße bot dem Papst seinen Amtsverzicht an und bat um die Entbindung von seinen Aufgaben. Das Gutachten wurde zudem bereits am Montag der Kölner Staatsanwaltschaft übergeben, teilte Gercke mit.
Die Gutachter zählten 75 Pflichtverstöße, die auf acht Personen zurückzuführen sind. Sie reichen von Verstößen gegen die Aufklärungspflicht bis hin zu Versäumnissen bei der Opferfürsorge. Meisner werden 24 Pflichtverstöße und damit ein Drittel aller Fälle angelastet.
Auch zu den Missbrauchsfällen gibt es Angaben. Es finden sich Hinweise auf 202 Beschuldigte und 314 Betroffene von sexuellem Missbrauch. Die Täter waren überwiegend Kleriker, die Opfer mehrheitlich Jungen unter 14 Jahren.
Tiefer Abgrund
„Dank der Arbeit der Anwälte haben wir einen Blick in den Abgrund von Missbrauch im Erzbistum werfen können“, sagte Matthias Katsch von der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, nannte das Ausmaß des Missbrauchs und der Pflichtverletzungen erschreckend.