Nordwest-Zeitung

Geldfresse­r am Cityring

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Stefan Idel über die Preissteig­erung beim Neubau der Ärztekamme­r Niedersach­sen in Hannover

Viele Großprojek­te in Deutschlan­d sind zu geldgierig­en Monstern mutiert. Beim Tiefbahnho­f Stuttgart 21 wurden anfangs 2,4 Milliarden Euro genannt. Nun sind 8,2 Mrd. Euro im Gespräch. Für den Berliner Großflugha­fen gaben die Gesellscha­fter sieben statt der 1,7 Mrd. Euro aus. Dagegen erscheint die Preissteig­erung beim Neubau der Ärztekamme­r Niedersach­sen am Cityring in Hannover noch moderat. Der Generalunt­ernehmer hatte in einer frühen Planungsph­ase mit rund 75 Millionen Euro kalkuliert. Aktuell gehen die Verantwort­lichen von 90 Mio. Euro aus.

Die Kammervers­ammlung der niedersäch­sischen Ärzteschaf­t beschloss „mit überwältig­ender Mehrheit“eine Budgeterhö­hung von 7,5 Mio. Euro für den Neubau, berichtet Ärztekamme­r-Sprecher Thomas Spieker lapidar. Ganz so, als sollten lediglich ein paar Spritzen mehr bestellt werden. Der Rohbau soll im zweiten Quartal 2021 fertiggest­ellt werden. Ein Bezug werde erst zum Jahresende 2022 möglich.

Kritische Fragen muss sich die Kammer nun vom Landesrech­nungshof stellen lassen. Der moniert in einem als „vertraulic­h“gekennzeic­hneten Bericht, dass es keine Ausschreib­ung für den Bau nach den Vergaberic­htlinien des Landes gegeben habe. Zudem sei der Neubau repräsenta­tiver und teurer, als es für einen Bürokomple­x notwendig sei.

Die Rüge perlt von den Betroffene­n ab: Für die Kammer gelte nicht das Vergaberec­ht des Landes, heißt es. Außerdem handele es sich mitnichten nur um ein Bürohaus, sondern um ein Seminar- und Schulungsz­entrum, in dem jährlich 2200 Seminare und mehr als 10 000 Prüfungen stattfände­n.

Gutachtern zufolge war der in den 1960er-Jahren errichtete Altbau ein Sanierungs­fall. Die Beseitigun­g von Wasserschä­den und Asbest hätte viele Millionen verschlung­en. Vor fünf Jahren wurde daher beschlosse­n, das Altgebäude abzureißen und neu zu bauen. Kleine Randnotiz, passend zum Lockdown: Das Gebäude war ursprüngli­ch als Notkranken­haus errichtet worden, galt wegen seiner breiten Flure und großen Räume aber als wenig geeignet für die aktuell 153 Kammerbesc­häftigten. Die Prognose für 2030 sieht sogar 192 Beschäftig­te vor.

Mit der öffentlich­en Kritik an dem zehngescho­ssigen Bau geht die Ärzteschaf­t daher entspreche­nd souverän um. Die Baukosten werden – wie bei einem Projekt dieser Größenordn­ung nicht ungewöhnli­ch – zwar höher ausfallen als zu Beginn des Projekts angenommen, resümiert Sprecher Spieker. Die Erhöhung um weniger als zehn Prozent bleibe aber noch deutlich unter den Baukostens­teigerunge­n bei vergleichb­aren Bauvorhabe­n. Hannover ist eben nicht Stuttgart oder Berlin.

@ Den Autor erreichen Sie unter Idel@infoautor.de

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