Arno Schmidt: Sitara und der Weg dorthin (1962)
Arno Schmidt war und ist ein Gemeinde bildender Autor. Er ging selbst davon aus, dass seine Lesergemeinde nicht allzu groß sein würde. Unverstanden fühlte der Gebildete
sich sogar von denen, die fest genug an die Unfehlbarkeit ihres Meisters glaubten, um ein kolossales Typoskript wie „Zettels Traum“überhaupt lesen zu wollen.
Warum man stattdessen lieber „Sitara“lesen sollte? Weil diese „Studie zu Wesen,
und Wirkung Karl Mays“fast noch gewagter ist. Denn Karl Mays Werk, das heute nicht einmal als Jugendlektüre mehr taugt, zu verachten, ist einfach, ihm tiefere Bedeutung abzugewinnen, dagegen ein riskantes Unternehmen.
Ausgerüstet mit Sigmund Freuds Analytikerbesteck und den Sprachsonden eines James Joyce entdeckt Schmidt vor allem im Spätwerk Karl Mays Spuren einer ins Mystische verklärten Homosexualität. Vier Jahrzehnte hat „der Weg dorthin“nach eigener Aussage gedauert, dann endlich konnte er beweisen, was jeder „Winnetou“-Leser nach ein paar Seiten spürt: Karl May, dieser „schwule Theodule“, ist ein „Sakral-Hirn“, dessen „mondaminenses Gleisnertum“von „dumpfer Zwanghaftigkeit“und „archaischer Primitivität“zeugt. Und um das nun so verständnisinnig und zwanghaft bloßzustellen, brauchte es wohl einen gleichgestimmten „Ritter vom Geist“.
In „Sitara“breitet er seine amphetaminensen Kenntnisse aus, so gleisnerisch lustvoll, dass es schon wieder lustig wird. Arno Schmidts Brieffreund Hans Wollschläger hat also völlig recht mit seinem Urteil: „ein ur-komisches Buch, das mühelos auch die Schmuddeligkeit ins LiterariWerk sche zurückholt, aus dem sie ausgebrochen war -“.
Ein Hang zur Übertreibung und eine gewisse Penetranz sind nämlich – siehe Thomas Bernhard – der Komik durchaus nicht abträglich, und wer Arno Schmidt liest, darf sich die Karl-May-Lektüre getrost schenken.
Das Buch: Arno Schmidt: Sitara und der Weg dorthin (1962). Die Kolumne „Ein Jahrhundert – 100 Bücher“erscheint regelmäßig exklusiv in dieser Zeitung. Alle Folgen zum Nachlesen sind zu finden unter
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