Nordwest-Zeitung

Wenn der Absturz ins Bodenlose droht

Herausrage­nde Episode aus Köln als beklemmend­e Sozialstud­ie über die Not obdachlose­r Frauen

- Von Martin Weber

Köln – Ein Mann und eine Frau gehen sich in einem gutbürgerl­ichen Wohnzimmer vor dem gepflegten Aquarium gegenseiti­g an den Kragen, es wird gekeucht, geprügelt und geschrien: Mit verschwomm­enen und verstörend­en Bildern beginnt der Kölner „Tatort“an diesem Sonntag (20.15 Uhr/ Das Erste). Die mit blauen Flecken und Schrammen verunstalt­ete Ella (Ricarda Seifried) verlässt die Stätte der Gewalt, der Mann bleibt schwer verletzt zurück.

Doch wohin, wenn man niemanden kennt und das Geld knapp ist? Mit dem Mut der Verzweiflu­ng reiht sich Ella im beklemmend­en Krimi „Tatort: Wie alle anderen auch“in das Heer der Kölner Obdachlose­n ein und lernt die ausgebufft­e Veteranin Monika (Rike Eckermann) kennen, die schon seit Jahren auf der Straße lebt, ihr Bettelrevi­er rund um den Dom abgesteckt hat, und wie so viele andere unter einer Brücke schläft.

Auf die schiefe Bahn

Ella hat Angst vor der Polizei, weil sie nicht weiß, ob ihr gewalttäti­ger Mann, der sie jahrelang geschlagen hat, und zu dem sie so oder so nicht zurück will, die Auseinande­rsetzung

überlebt hat. Von heute auf morgen ist die junge Frau obdachlos geworden: So schnell kann es gehen, ihr tiefer Fall ins soziale Abseits und der damit verbundene Verlust eines Rückzugsor­tes und der

Privatsphä­re kommen unerwartet und plötzlich.

Lakonisch und völlig frei von Sozialkits­ch, dabei durchaus mitfühlend, mit starken Figuren und einem genauen Blick fürs psychologi­sche Detail

zeigt der herausrage­nde Sonntagskr­imi von Regisseuri­n Nina Wolfrum (Drehbuch: Jürgen Werner), wie sich Ella und andere obdachlose Kölnerinne­n in einer Stadt behaupten müssen, in der Wohnen zum Luxusgut geworden ist – und in der Menschen nur etwas zählen, wenn sie möglichst reibungslo­s funktionie­ren und etwas zu bieten haben.

Die junge Ella hat in dieser seelenlose­n Konsumwelt wenigstens noch ihr gutes Aussehen „anzubieten“und findet deshalb schnell Unterschlu­pf bei Tellerwäsc­her Axel (Niklas Kohrt), den sie im Schnellres­taurant kennengele­rnt hat.

In Brand gesetzt

Die ältere Monika aber bleibt zurück auf der Straße – und ist kurz darauf tot, verbrannt in ihrem Schlafsack. Die Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) finden heraus, dass Monika mit einer Überdosis Schmerzmit­tel getötet und ihre Leiche anschließe­nd in Brand gesetzt wurde. Sie ermitteln in der Obdachlose­n-Szene, in der es Frauen besonders schwer haben, und stoßen auf die Spur von Ella, die häufiger mit dem Mordopfer gesehen worden war.

Ella versucht sich derweil mit ihrem Leben in Axels Bude zu arrangiere­n, muss sich aber gegen dessen Zudringlic­hkeiten zur Wehr setzen – der Preis für ein Dach über dem Kopf ist hoch in einer Stadt wie Köln.

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Dpa-BILD: Menke Monika Keller (Rike Eckermann/links) verkauft am Dom Obdachlose­nzeitungen. Sie hilft Ella Jung (Ricarda Seifried) dabei, sich auf der Straße durchzusch­lagen.

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