Nordwest-Zeitung

DIE STUNDE UNSERER MÜTTER

- ROMAN VON KATJA MAYBACH

57. Fortsetzun­g

Maria hatte Werner verstohlen beobachtet, der die Kellnerin anlächelte, als sie die silbernen Kännchen servierte.

,,Der Kaffee ist gut“, stellte Maria nach dem ersten Schluck fest, und Werner bestätigte das.

,,Es ist schön, dass du gekommen bist“, sagte er und sah ihr direkt in die Augen. Als sie ein Nicken andeutete, sprach er weiter:

,,Sicher warst du erstaunt, als du mein Telegramm erhalten hast.“Maria wurde unter seinem forschende­n Blick noch unruhiger. Sah er ihre ersten grauen Haare, bemerkte er die vielen kleinen Fältchen um ihre Augen?

,,Ja“, antwortete sie endlich, ,,ich war erstaunt und Anna sehr enttäuscht.“

,,Ich wollte dich allein treffen. Ich muss wissen, wo wir stehen, bevor ich wieder zum Einsatz komme. Ich brauche Gewissheit“, betonte er.

Als sie nichts erwiderte, sondern ihren Kopf senkte, sprach er weiter: ,,Ich weiß seit langem, wie sehr du an mir, an unserer Ehe zweifelst.“

Marias Blick war auf ihre Hände gerichtet. Bei seinen Worten drehte sie unwillkürl­ich an ihrem Ehering.

,,Ich denke“, sagte sie dann und hob endlich den Blick, ,,auch du hast deine Zweifel, denn bei deinem letzten Heimaturla­ub bist du nicht nach Hause gekommen.“

,,Ich war zu Hause.“Verständni­slos sah Maria ihn an.

,,Bei meiner Familie“betonte er, ,,bei meinen Eltern und meinen Schwestern. Wo ich willkommen bin.“

Maria biss sich auf die Lippen. Da war es wieder, dieses Gefühl der Schuld ihm gegenüber, und Werner half ihr nicht über die Verlegenhe­it hinweg, sondern fuhr ruhig fort: ,,Es ist schade, dass du niemals den Weg zu meiner Familie gefunden hast. So weiß Anna kaum, dass sie außer Friedrich und Elsa noch andere Großeltern hat.“

,,Nun, nach dem Krieg, dann …“

Ihr Satz blieb im Raum hängen. Werner hatte recht. Sie hatte sich in über sechzehn Jahren nicht überwinden können, ins Dorf Erlenbrunn zur Familie ihres Mannes zu fahren.

,,Anna hat dich sehr vermisst. Ihr zuliebe hättest du kommen können“, wechselte sie hastig das Thema.

Werner beugte sich vor und sah sie ernst an. ,,Weißt du, was du da gerade sagst? Anna hat mich vermisst – und du, was ist mit dir? Sag es mir!“, drängte er.

Maria hasste es, wenn man sie bedrängte oder eine Antwort erwartete, die sie nicht geben konnte.

,,Manchmal schon“, sagte sie nach langem Zögern, ,,und ich habe mich gefreut, als dein Telegramm kam.“

,,Na wenigstens das.“Werner

lachte auf.

,,Wo musst du morgen hin?“, fragte Maria verzweifel­t, da sie nicht die richtigen Worte fand. Verzweifel­t auch, weil sie oft an Trennung gedacht hatte. Aber jetzt saß er ihr gegenüber, schmaler geworden, und in einer plötzliche­n Aufwallung spürte sie, dass sie ihn vermisst hatte. In diesem Moment verstand sie sich selbst nicht, und in einer spontanen Geste griff sie nach seiner Hand.

,,Wo musst du morgen hin?“, wiederholt­e sie, da er schwieg.

,,Russland“, antwortete Werner, jetzt kurz angebunden, und zog seine Hand zurück.

,,So weit …“

,,Es ist gut, dass wir im Sommer dort einmarschi­eren“, erklärte Werner, ,,im Winter würden wir einen solchen Feldzug nicht überleben.“

Das war der Augenblick, in dem der Gedanke in ihr aufstieg, dass Werner Tag für Tag in einem sinnlosen grausamen Krieg sein Leben riskierte und es jederzeit vorbei sein könnte.

,,Russland oder Polen“, er zuckte die Schultern. ,,Was macht das für einen Unterschie­d.“Er nahm die Mütze ab und strich sich müde durch die blonden dichten Haare.

,,Weißt du was?“, schlug er vor. ,,Lass uns ein wenig durch die Stadt gehen und dann irgendwo etwas essen, hast du Lust?“

Maria gefiel diese Idee, sofort erhob sie sich.

So verließen sie den Bayrischen Hof und schlendert­en zur Residenzst­raße und dann weiter bis zur Feldherrnh­alle. Maria verlangsam­te ihre Schritte, sie zögerte, doch Werner ging am Mahnmal vorbei, hob die Hand und salutierte bei dem wach habenden Posten.

,,Philip“, erzählte Maria, ,,will hier nicht vorbeigehe­n, er nimmt den Umweg durch die Viscardiga­sse.“

Werner lachte. ,,Das kann ich mir vorstellen, aber es ist in Ordnung. Jeder soll das machen, was er für richtig hält.“Nach ein paar Schritten blieb er stehen. ,,Ich war heute übrigens bei Philip.“

Das kam so überrasche­nd, dass Maria glaubte, sie habe ihn falsch verstanden.

,,Bei Philip?“

,,Ja, heute Morgen. Gleich nach meiner Ankunft“, erklärte Werner gelassen. Er lächelte und schien sich über Marias Reaktion fast zu amüsieren. ,,Ich bin mit dem Nachtzug gekommen und hatte ja Zeit.“

Etwas in Werners Stimme ließ Marias Herz unruhig klopfen.

,,Die Haustür unten stand offen, und so lief ich in den vierten Stock hinauf und klingelte an der Wohnungstü­r.“,,Und dann?“

,,Er hatte Besuch.“Werner betonte jede Silbe. Fortsetzun­g folgt

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