Weil fürchtet „Vertrauensschaden“
Merkels Entschuldigung findet aber auch Lob
Hannover/Oldenburg – Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Osterruhe-Regelung zur Bekämpfung der CoronaPandemie wieder gekippt und sich bei den Bürgern entschuldigt. Der gesamte Vorgang habe zusätzliche Verunsicherung ausgelöst, sagte die CDU-Politikerin am Mittwoch. „Das bedauere ich zutiefst und dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung.“
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil räumte ein, dass die Rücknahme
der Beschlüsse einen „Vertrauensschaden“der Politik in der Bevölkerung nach sich ziehen könnte. Der SPD-Politiker hatte die Beschlüsse am Tag zuvor noch gelobt.
Für ihren Schritt erhielt Merkel aber auch Lob und Anerkennung – unter anderem von einigen Ministerpräsidenten. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger ergänzte: „Die mutige Entscheidung der Kanzlerin beweist Führungsstärke.“
Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Oldenburg, Dr. Thomas Hildebrandt, zeigte sich erfreut über die Aufhebung der Osterruhe: „Es war kurzfristig und unausgegoren, aber es ist gut, dass der Fehler erkannt und schnell korrigiert wurde.“
■ Einen Kommentar von Alexander Will aus der Chefredaktion zum Wirrwarr in der Corona-Politik lesen Sie auf
„Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler.
Angela Merkel, Bundeskanzlerin
Man hat das Gefühl in einer Zeitschleife zu stecken: Lockdown und kein Ende. Welche Strategie sehen Sie in Sachen Corona am Werk?
Dürr: Für mich ist das, was am Montag beschlossen worden ist, ein Dokument des Scheiterns. Es fehlt an Konzept und Strategie. Man fühlt sich an eine schlechte Diät mit Jo-JoEffekt erinnert. Dass die Bundeskanzlerin einen Fehler eingeräumt hat, verdient Respekt. Das ist aber kein Konzept! Wir haben deshalb schon im Februar einen nachvollziehbaren Stufenplan vorgelegt.
Was sollte also getan werden? Dürr: Man muss Gas geben bei Testungen, Impfungen und digitaler Kontakt-Nachverfolgung. Das sind die drei wichtigsten Dinge, um die sich die Bundesregierung hätte kümmern müssen. Genau da passiert aber fast nichts. Stattdessen vertröstet man die Bürger, bittet um Verständnis, und fährt die Strategie „Wir bleiben zuhause“. „Wir bleiben zuhause“ist für die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, die international vernetzte Lieferketten hat, aber keine Option.
Warum trägt die FDP diese Beschlüsse über die Landesregierungen, an denen sie beteiligt ist, dann mit?
Dürr: Das ist ja keine Abstimmung im Landeskabinett. Die Regierungschefs treffen sich in der Ministerpräsidentenkonferenz. Die entscheiden. Der FDP-Gesundheitsminister in Schleswig-Holstein, Heiner Garg, hat aber zum Beispiel etwas ganz Pragmatisches gemacht. Damit Impftermine effektiv vergeben werden, nutzt man einen privaten Konzertveranstalter, der Hotlines und Computersysteme betreibt. Und siehe da: Das Impfen geht besser als in Niedersachsen, wo es leider nach wie vor eine ziemliche Katastrophe ist. Da macht die FDP dann einen Unterschied.
Wie schätzen Sie die Stimmung ein? Mir scheint der Druck auf dem Kessel steigt… Dürr: Ja. Die Leute haben den Eindruck, dass ihnen sehr viel abverlangt wird, aber die Regierung verlangt sich selbst zu wenig ab. Das ist aber keine Frage der politischen Farbenlehre, sondern eine des politischen Managements. Deutschland ist international zurecht für seine Präzision und Pünktlichkeit bekannt – also für Dinge, die eine Volkswirtschaft erfolgreich machen. Diese Tugenden lässt die Regierung unter Frau Merkel zurzeit absolut vermissen. Das regt Menschen zurecht auf. Das hat auch nichts damit zu tun, dieses Virus zu verharmlosen. Ganz im Gegenteil. Weil es gefährlich ist, muss man testen, testen, testen und impfen, impfen, impfen.
Die FDP kann von der Unzufriedenheit ja profitieren, aber bei den letzten Landtagswahlen im Vergleich zu den Grünen eher marginal. Warum?
Dürr: Es geht in dieser Situation nicht darum, parteipolitisch zu profitieren. Es geht darum, konkrete Lösungsvorschläge zu machen. Das haben wir getan. Als wir im vergangenen Sommer davon gesprochen haben, dass Alten- und Pflegeheime konsequent geschützt werden müssen – wie viele Leben hätten gerettet werden können, wenn man das getan hätte? Stattdessen hat man vor allem die Schnelltests eben nicht zuerst in den Altenheimen eingesetzt.
Die Ampel oder Kenia sind in den vergangenen Tagen als Machtoptionen für die Zeit nach der Bundestagswahl wieder ins Gespräch gekommen. Auch innerhalb Ihrer Partei? Dürr: Uns geht es zuerst darum, für unsere Inhalte zu streiten und dafür auch Mehrheiten zu bekommen. Dafür kann es sinnvollerweise keine Koalitionsfestlegung geben. Dass wir nicht mit den Rändern koalieren, versteht sich von selbst. Für den Bund gilt: Ein Bündnis, das Steuern erhöhen und den Staat ausbauen will, kann die FDP nicht unterstützen. Aber ich bin zuversichtlich, dass es eher Mehrheiten geben wird, die auf Wachstum setzen. Wir müssen ja aus den Corona-Schulden wieder herauskommen.
Steuern, Schuldenbremse – die Grünen haben da ein Wahlprogramm, das in entgegengesetzte Richtung marschiert… Dürr: Richtig! Ich bin sehr gespannt, wie die Menschen in Deutschland das bewerten, was die Grünen und auch die Sozialdemokraten vorschlagen: höhere Steuerlasten für inhabergeführte Familienbetriebe zum Beispiel. Diese Betriebe jetzt als Antwort auf diese Krise besonders zu belasten, ist eine denkbar schlechte Idee. Im Gegenteil: Die müssen entlastet werden. Da sind wir ein Gegenentwurf.
„Ich habe sechs Stunden auf einen Bildschirm geschaut und mich gefragt, was hier eigentlich passiert . ... Bis 23.45 Uhr habe ich überhaupt nicht gewusst, wo die Bundeskanzlerin ist und wo ein Teil der Ministerpräsidenten abgeblieben ist.
Bodo Ramelow (Linke), Ministerpräsident von Thüringen, im ZDF am Mittwoch zum Verlauf der umstrittenen Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin vom Montagabend