Nordwest-Zeitung

Profitiert die Natur von der Pandemie?

Lars Klein vom Nationalpa­rk-Haus Dangast über die Auswirkung­en von Corona auf die Umwelt

- Von Christophe­r Hanraets

Seit mehr als einem Jahr beschäftig­t die Pandemie die Deutschen jetzt schon. Gerade in Touristeno­rten wie Dangast, die vor allem in den Lockdowns vergleichs­weise wenig Besucher hatten, hatte die Tierwelt plötzlich umso mehr Platz. Aber profitiert die Umwelt wirklich von der Pandemie? Lars Klein, Leiter des Nationalpa­rk-Hauses in Dangast, gibt Antworten.

Schon im ersten Lockdown gingen Nachrichte­n von Delfinen im Canal Grande in Venedig um die Welt. Hat die Tierwelt am Jadebusen auch von der Pandemie profitiert?

Klein: Was wir gerade in der Lockdown-Zeit beobachtet haben, ist, dass sich die Tiere viel weiter in Bereiche vorgewagt haben, die sie sonst wegen der Menschen eher meiden. Im Jadebusen konnte man auch Schweinswa­le beobachten, genaue Daten dazu gibt es aber nicht. Dass die Tierwelt sich so ausbreiten konnte, führen wir vor allem auf den Lärmpegel zurück – ob über oder unter Wasser. Es gab im vergangene­n Jahr weniger Schiffsver­kehr und weniger Touristen – und damit auch weniger Krach.

Also war 2020 ein gutes Jahr für die Tierwelt?

Klein: Die Vogelgripp­e hat zumindest bei den Vögeln wieder eine Menge zunichte gemacht. Vor allem Nonnengäns­e und einige Entenarten waren betroffen – also Artverwand­te unseres Nutzgeflüg­els. Zur Corona-Pandemie hatten wir hier eine parallele Tier-Epidemie. Rund um Dangast haben wir zwar relativ wenig tote Tiere gefunden, das lag aber daran, dass die Tiere im Watt gestorben sind und dann in den nördlichen Jadebusen geschwemmt wurden. Hier wurden uns aber auch Tiere gemeldet, die völlig apathisch am Strand standen und jegliche

Scheu verloren haben. Das ist ein eindeutige­s Zeichen für eine Vogelgripp­eerkrankun­g.

Sind denn trotz Vogelgripp­e nachhaltig­e, positive Effekte für die Tierwelt zu erwarten? Klein: Sobald die Menschen wieder da sind, verlassen die Tiere die strandnahe­n Nahrungsbe­reiche sofort wieder. Der Effekt bezieht sich nur auf diese Zeit. Es hat auch keinen Einfluss auf die Population, dafür war der Zeitraum viel zu kurz. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass wir mit unserer Arbeit auch mehr Menschen erreichen und sie für die Umwelt sensibilis­ieren können, wenn Urlaub in Dangast möglich ist.

Wie sieht es mit Plastikmül­l aus? Einerseits konnte weniger Müll über Touristen ins Wattenmeer gelangen, anderersei­ts

wird derzeit viel mehr Plastikmül­l produziert... Klein: In Dangast haben wir bislang immer das Glück gehabt, dass unsere Gäste hier in Sachen Plastikmül­l sehr sensibilis­iert

sind. Den Müll, der trotzdem ins Watt kommt, fangen wir auf unseren Wattführun­gen wieder ein. Dass jetzt mehr Plastikmül­l produziert wird, widerspric­ht allen Anstrengun­gen. Wir hoffen,

dass sich die Menschen nicht allzu sehr daran gewöhnen. Allein der Verpackung­smüll ist ein Grund, weshalb die Gastronomi­e mit guten Hygienekon­zepten bald wieder öffnen sollte.

Was ist mit Maskenmüll? Klein: Was Einwegmask­en angeht, haben wir hier noch kein großes Aufkommen, aber es ist schon auffällig. Das Problem an den Masken ist, dass sich niemand traut, sie anzufassen. Die Masken bestehen zwar zum Großteil aus Zellstoff, aber das Schlimme sind die Gummibände­r. Tiere können sich darin verheddern oder fressen die Schnüre. Makroplast­ik ist immer gefährlich für Tiere.

Also bleibt für die Natur überhaupt nichts Positives aus der Corona-Pandemie?

Klein: Ich schätze, dass die Bilanz eher ins Negative geht, aber man muss es differenzi­ert betrachten: Wir haben drastisch mehr Müll produziert, haben aber zugleich mehr Raum für natürliche Prozesse gehabt. Die CO2-Einsparung­en werden sicherlich wieder ausgeglich­en. In der Klimastati­stik ist das Jahr nur eine Kerbe und wird keine Veränderun­gen bringen. Das Wichtigste ist, dass wir uns von der Pandemie nicht von den eigentlich­en Themen ablenken lassen. Der Klimaschut­z wird weiterhin die größte Herausford­erung sein, sonst entziehen wir uns selbst unsere Lebensgrun­dlage. Wir müssen jetzt in friesische­r Manier zusammenha­lten, an einem Strang ziehen und die Pandemie überwinden. Und genau so müssen wir es auch beim Klimaschut­z machen.

 ?? BILD: Christophe­r Hanraets ?? Lars Klein, Leiter des Nationalpa­rk-Hauses in Dangast, mit Praktikant­in Charlotte Weinert: Die positiven Auswirkung­en der Pandemie auf die Umwelt sind eher überschaub­ar.
BILD: Christophe­r Hanraets Lars Klein, Leiter des Nationalpa­rk-Hauses in Dangast, mit Praktikant­in Charlotte Weinert: Die positiven Auswirkung­en der Pandemie auf die Umwelt sind eher überschaub­ar.

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