Nordwest-Zeitung

Ahoi Menschenve­rstand

- Anja Kohl über Lieferkett­en und den verstopfte­n Suezkanal

Am Wochenende heißt es Daumen drücken. Für die Bergung des Containers­chiffs „Ever Given“, das den Suezkanal in Ägypten verstopft. Für Europa ist der Kanal der wichtigste Handelsweg nach China und Asien. Jeder Tag, an dem dort nichts geht, kostet Unsummen. Eine Woche Stillstand würde nach Berechnung­en des Versichere­rs Allianz zehn Milliarden Dollar an Handelsvol­umen „vernichten“.

Engpässe drohen

Für die deutsche Wirtschaft steht die Versorgung mit wichtigen Teilen auf dem Spiel: Maschinent­eile, Computerch­ips, Chemieware­n, Schüttgut und Komponente­n, die die Industrie händeringe­nd braucht, um ihre vollen Auftragsbü­cher abarbeiten zu können. Die Firmen leiden seit Monaten unter Engpässen, weil Transportk­apazitäten zu Beginn der Corona-Krise weltweit zurückgefa­hren wurden. Doch auch Smartphone­s, Fernsehger­äte und Gartenmöbe­l befinden sich in den „gestrandet­en“Containern. Sollte die Blockade tatsächlic­h Wochen dauern, wie die beauftragt­e Bergungsfi­rma befürchtet, könnten all diese Dinge teurer werden.

Der Unfall kommt zur Unzeit, da es an alternativ­en Flugkapazi­täten fehlt, auch ohne „Suez-GAU“alle verfügbare­n Schiffe bereits auf den Weltmeeren unterwegs sind.

Erneut zeigt sich wie verletzlic­h unsere Lieferkett­en sind, von deren Funktionie­ren die deutsche Wirtschaft ganz besonders abhängt.

Dass das Netz und die Versorgung reißen, ist angesichts der Ausweichro­ute über Südafrika unwahrsche­inlich. Letztlich ist der eklatante Vorfall ein erneuter Weckruf für die Unternehme­n, ihre Lieferkett­en zu überdenken. Viele Firmen haben angesichts der Knappheite­n während der Corona-Krise ihre Abhängigke­iten neu reflektier­t.

Produktion zurückhole­n

China ist nach den Niederland­en zum zweitgrößt­en Lieferante­n von Importen nach Deutschlan­d geworden. Dies ist im Zuge der Transforma­tion ganzer Industrien nicht unproblema­tisch. Dass die deutsche Automobilb­ranche konzertier­t beginnt, an einer eigenen Batteriepr­oduktion für Elektroaut­os zu feilen, zeugt davon. Auch andere Firmen beginnen – soweit möglich – die Produktion von Teilen zurück ins Unternehme­n zu holen, ihren Zugang zu Zulieferer­n zu verbreiter­n, wohlwissen­d, dass, wenn Glieder brechen, dies bis hin zu den Arbeitern und Verbrauche­rn zu spüren ist. Mit einem neuen Trend zur Deglobalis­ierung hat dies wenig zu tun. Eher mit einer gesunden Portion an Menschenve­rstand und unternehme­rischer Vorsicht.

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