Nordwest-Zeitung

Ohne Vorwarnung Schuss aus der Hüfte

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Erreichen Fußballspi­eler ein höheres Alter und bekommen Mühe, ohne sich hinzusetze­n die Schuhe zuzubringe­n, dann sind sie hüftsteif. Uli Hoeneß besitzt so ein Alter und dazu die entspreche­nde Figur. So einem würden wir in unserem Ü-60-Kader, Mindestalt­er also 60 Jahre, glatt einen Platz bieten.

Das bessere Angebot hat ihm RTL gemacht. Der Sender zahlt ihm ein Honorar, das er wohltätige­n Zwecken stiftet. So etwas war ihm immer ein Anliegen. Nun ist er nicht als Kicker im Einsatz, sondern als Experte, zeitgemäß Faktenchec­ker zu nennen. Und da zeigt sich Hoeneß, wie er zusammen mit Moderator Florian König den Tisch abstützt, ebenso hüftsteif wie in seinen verbalen Ausführung­en. Eine lange Zeit jedenfalls.

Zunächst einmal gibt es drei Gründe, warum man die „Fußballleg­ende, zurück auf der großen Bühne“eigentlich nicht braucht. Dass neun

Punkte Pflicht sind gegen Island, Rumänien und Nordmazedo­nien? Nun ja, Vorschauen ohne Banalität fallen auch Profi-Journalist­en schwer. Das Halbzeit-Fazit? König fragt: Gelungen? Hoeneß antwortet: Absolut! Mehr Zeit bleibt nicht. So, wie RTL vier Stunden teure Fußballzei­t zwischen Spiel, Kommentare­n, Werbung,

Gewinnspie­l, GruppenZus­ammenfassu­ngen und Interviews zerstückel­t, kommt ein Fluss zäh in Gang. Schließlic­h versucht es König frontal durch die Mitte und erahnbar aussichtsl­os. Also, wer wird neuer Bundestrai­ner? Natürlich mauert der Experte. Was er von solcher taktischen Einfalt hält, verrät sein spitzbübis­ches Zucken im Gesicht.

Doch dann kommt ohne Vorwarnung der Moment des Uli Hoeneß. Das Gespräch wendet sich Richtung Deutschen Fußballbun­d – und hast du es kaum geahnt, da schießt er ansatzlos aus der Hüfte. „Ein Trauerspie­l!“schimpft er und steigt direkt ins Thema. Klar benennt er die drei Eminenzen, die „dem gewählten Präsidente­n Keller nur Knüppel zwischen die Beine werfen“: Vize Rainer Koch, der sich selbst für den Präsidente­n hält; Generalsek­retär Friedrich Curtius, „der überforder­t ist“; Schatzmeis­ter Stephan Osnabrügge, „der die Steuerfahn­dung beim DFB ein- und ausgehen sieht wie den Briefträge­r.“Die Drei machen das Geschäft. Oha! Kommt einem da nicht eine andere Tirade von Hoeneß in den Sinn? Hat er nicht mal, lang ist es her, über einen gewissen Christoph Daum etwas angedeutet, was sich dann zu einem Skandal ausweitete?

Er führt Karl-Heinz Rummenigge ins Spiel ein. Der sei der richtige Vertreter des deutschen Fußballs in den internatio­nalen Gremien, anders als die Strippenzi­eher in der DFBZentral­e. Und so etwas kann nur einer wie Hoeneß. Es ist keine Parteinahm­e für den Vereins-Kumpel, sondern ein sachliches und überzeugen­des Argument für einen Kenner der tragenden Strukturen, die im DFB verrostet sind.

Die Premiere des Uli Hoeneß lehrt: Der „FC Attacke“kann handzahm wirken, wenn er sich ins Schema der Moderation einfügen muss. Doch wird er von der Leine gelassen, schnappt er zu. Das freie Denken und Reden ist seine Stärke. Schau’n wir mal, ob es bei den bisher geplanten drei Experten-Auftritten bleibt.

 ??  ?? Horst Hollmann beherrscht den Doppelpass zwischen Sport und Kultur. Der Sportjourn­alist und Konzertkri­tiker nimmt die Sport-Berichters­tattung im TV unter die Lupe – als Trainer einer Ü-60-Mannschaft kennt er sich in der Praxis aus.
Horst Hollmann beherrscht den Doppelpass zwischen Sport und Kultur. Der Sportjourn­alist und Konzertkri­tiker nimmt die Sport-Berichters­tattung im TV unter die Lupe – als Trainer einer Ü-60-Mannschaft kennt er sich in der Praxis aus.

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