Kunst und Spott fürs Vaterland vereint
Vor 125 Jahren erschien in München die erste Ausgabe des „Simplicissimus“
München – Es begab sich zu der Zeit, als München Thomas Mann zufolge leuchtete. Kunst, Kultur und Wirtschaft florierten um 1900, es gab eine Bohème, und es gab den jungen Verleger Albert Langen (1869–1909), der in Frankreich gelebt und die Plakatkunst von Größen wie Henri de Toulouse-Lautrec kennengelernt hatte. Doch es gab auch eine andere Welt, die der strengen soldatischen Preußen.
Karikaturen mit Anspruch
Aus diesem Gegensatz erwuchs Langens Idee einer Satirezeitschrift. Und so erblickte am 4. April 1896 die erste Ausgabe des „Simplicissimus“in Langens noch heute bestehendem Verlag das Licht der Öffentlichkeit: Karikaturen mit Anspruch, künstlerisch wie politisch – mit Wumms. „Das knallte richtig raus“am Bahnhofskiosk, erzählt Gisela Vetter-Liebenow, Direktorin des Deutschen Museums für Karikatur und Zeichenkunst Wilhelm Busch in Hannover.
„Ein großes, farbiges Titelblatt – das gab es vorher nicht.“Damit habe die deutsche Karikatur den internationalen Anschluss gefunden – bis heute, bis in die USA kenne man den „Simplicissimus“. So habe Schriftsteller Tom Wolfe das Vorwort für einen US-Katalog geschrieben.
Wirkliche Kunst
„Er war das „Hausblatt der Liberalen“, charakterisiert Christoph Stölzl, Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums und früherer Direktor des Münchner Stadtmuseums, die Zeitschrift. „Der hatte ’ne Riesenwirkung. Die Zeichnungen und Grafiken hatten etwas sehr Wirkungsvolles, und er war ja auch unterhaltend, hatte auch mal harmlos-erotische Zeichnungen.“
Und es war wirkliche Kunst, gezeichnet von den Großen der Zeit: Eduard Thöny, Thomas Theodor Heine, Olaf Gulbransson, Heinrich Zille, Bruno Paul und Rudolf Wilke von der Zeitschrift „Jugend“, die dem Jugendstil ihren Namen gab. Texte kamen etwa von Thomas Mann, Hermann Hesse, Kurt Tucholsky, Ludwig Thoma, Guy de Maupassant.
Thematisch ging es im Blatt gegen alles, wofür Preußen stand: Die Zeitschrift „war stark in der Kritik am Militarismus, in Kritik an der imperialen Aufrüstung des Kaiserreiches, an den Sittlichkeitsaposteln und am repressiven Sexualstrafrecht“, sagt Stölzl. Bekannt ist etwa die Karikatur, in der sich Kreuzritter wie Barbarossa über nutzlose Byzanzreisen lustig machen – eine Anspielung auf eine Reise von Kaiser Wilhelm II., die den Zeichnern Festungshaft einbrachte.
Gegen die Bigotterie der Zeit richtet sich die Zeichnung mit respektablen Herren im Nachtclub und der Zeile „Ihre Produktionen scheinen vom Standpunkt der Sittlichkeit sehr verwerflich. Bitte wollen Sie dieselben wiederholen.“In einer anderen Zeichnung muss sich Gott selbst in eine Leutnantsuniform werfen, damit er auf Erden überhaupt noch ernstgenommen wird.
Zum Feindbild in der Weimarer Republik wurden hingegen Inflation, Hunger und die Franzosen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erschien der „Simplicissimus“von 1954 bis 1967 unter altem Namen.