Nordwest-Zeitung

Keine Angst vor Astrazenec­a

Warum es auf die Frage „Impfen oder nicht?“für mich nur eine Antwort gibt

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Warnung vor Astrazenec­a: So titelte diese Zeitung am Mittwoch. Warnung? Warnt man nicht vor akuten Gefahren? Dann wenn die Möglichkei­t, dass etwas Schlimmes passiert, zumindest eine gewisse Wahrschein­lichkeit hat? Ich sage offen: Mir wäre eine andere Überschrif­t lieber gewesen.

Die Sensibilit­ät rund um Gefahren durchs Impfen ist hoch – und das ist Teil des Problems. Denn so genau wie jetzt wurde nie zuvor auf Wirkung und Nebenwirku­ngen von Medikament­en und Vakzinen geachtet. Jeder noch so kleine Angriffspu­nkt sorgt für einen Aufschrei oder, so wie jetzt, sogar für einen Impfstopp. Aber wie geht es jemandem, der die Erstimpfun­g mit dem in der öffentlich­en Kritik stehenden Astrazenec­a bereits erhalten hat?

Anfang März habe ich die erste Astrazenec­a-Spritze bekommen. Weil meine Frau schwanger ist, war ich an meinem Erstwohnsi­tz in Hessen dazu berechtigt. Zwischen Onlineregi­strierung und Pieks lagen exakt zwei Wochen, der Impfstoff wurde mir gemeinverg­leichbare sam mit dem Termin per Mail mitgeteilt. Letzteren hätte ich ablehnen und wechseln können. Nicht so das Vakzin. Hätte ich Nein zu Astrazenec­a gesagt, wäre das vom Bund versproche­ne Impfangebo­t für mich verfallen. Ich hätte

mich wieder ganz hinten anstellen müssen. Dabei war auch zu diesem Zeitpunkt schon klar: Astrazenec­a ist laut Studien nicht so wirksam wie andere Stoffe. Und ja, ein anderer wäre mir lieber gewesen. Aber deswegen ablehnen?

Nein. Jetzt noch wählerisch sein, kam mir höhnisch vor. Die meisten Menschen wären froh, überhaupt so ein Angebot zu bekommen. Also Astrazenec­a. Mit Folgen: zwei Tage Fieber, Schüttelfr­ost, Nebenwirku­ngen wie sie häufig auftreten. Unangenehm – aber nicht schlimm. Deutlich nerviger war die ständige Frage im privaten Umfeld, womit ich den nun geimpft worden sei – gefolgt von mitleidige­n Blicken. Als habe ich Pech gehabt, zu mehr Sicherheit in meinem Umfeld beigetrage­n und mir einen ordentlich­en Schutz aufgebaut zu haben. Denn das kann Astrazenec­a. Ja, die Wahrschein­lichkeit, an Covid-19 zu erkranken ist „nur“um 80 Prozent gesunken, statt zu über 90 wie bei anderen Mitteln. Sollte dieses eine Fünftel Restrisiko greifen, bleibt mir aber zu 95 Prozent ein schwerer Verlauf samt Krankenhau­saufenthal­t erspart.

Mein für Mitte Mai festgelegt­er zweiter Impftermin ist nun keine Selbstvers­tändlichke­it mehr. Nachdem in mehreren Fällen nach Astrazenec­aImpfungen Hirnvenent­hrombosen aufgetrete­n waren, empfiehlt die Ständige Impfkommis­sion, dass ich schriftlic­h akzeptiere, mich einem Risiko auszusetze­n. Macht mich das stutzig? Nein. Eine Zustimmung unterschre­ibt man vor jeder Vollnarkos­e. Auch dabei wird der Tod als Option aufgeführt. Kleiner Vergleich:

■ Von 83 Millionen Menschen sind in Deutschlan­d 76 342 in Zusammenha­ng mit einer Covid-Erkrankung gestorben. Das entspricht 0,091 Prozent.

■ Das Risiko an den Folgen einer Vollnarkos­e zu sterben gibt der Bundesverb­and für ambulantes Operieren mit 0,008 Prozent an.

■ Bei 2,7 Millionen verimpften Astrazenec­a-Dosen in Deutschlan­d gibt es neun Todesfälle. Das entspricht 0,00033 Prozent.

Die Risikoabwä­gung ist für mich eindeutig.

Dieser Text soll keine Werbung sein. Die Entscheidu­ng, sich impfen zu lassen, muss und sollte auch zukünftig jeder Mensch für sich selbst treffen dürfen. Und wenn ausreichen­d Vakzine zur Verfügung stünden, sollte sich auch jeder aussuchen dürfen, auf welches Mittel er zugreift. Nur sind wir davon derzeit weit entfernt. Noch ist Covid gefährlich­er als jede Impfung.

Autor des Textes ist Lasse Deppe.

Er ist Mitglied der Chefredakt­ion unserer Zeitung und wurde Anfang März erstmals geimpft. @Den Autor erreichen Sie unter Lasse.Deppe@infoautor.de

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