Nordwest-Zeitung

Schweigen als Basis schrecklic­her Taten

Neun Personen bekräftige­n Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauch­s gegen Pfarrer Meyer

- Von Carsten Bickschlag

Markhausen – Vor sechs Wochen hat die NWZ erstmals über Missbrauch­svorwürfe gegen Georg Meyer berichtet. Es folgten weitere Vorwürfe und die bittere Erkenntnis, dass aus einem Verdacht Gewissheit wurde. Wie konnte so etwas nur geschehen? Wie konnte ein Mann über viele Jahre zahlreiche Kinder missbrauch­en?

Neun Opfer sind bekannt. Alles Jungs. Die Dunkelziff­er ist größer. Allein ein Opfer erlebte rund 100 Übergriffe. Es kann davon ausgegange­n werden, dass sich der Täter tausendfac­h an Minderjähr­igen vergangen hat. Der Täter: ein katholisch­er Priester. Die Opfer: Messdiener. Konsequenz­en für den Täter: keine.

Schwer auszuhalte­n

Die

Verbrechen ereigneten sich vor allem in den 1960erJahr­en in der St.-Johannes-Gemeinde in Markhausen. Pfarrer Georg Meyer war von 1953 bis zu seinem Tod 1970 Geistliche­r in dem kleinen Dorf. Jahrelang ging er seinen krankhafte­n Trieben nach und verging sich an den Jungen. Das bezeugen Jahrzehnte später mehrere Opfer gegenüber dem Bistum und unserer Redaktion. Er fasste sie unsittlich an, küsste sie. „Und es war alles noch viel schlimmer“, berichtete ein Opfer. Sich auch nur annähernd vorzustell­en, was er damit meinte, ist nur schwer auszuhalte­n.

Schweigen

Der Pfarrer konnte sich ungehinder­t strafbar machen. Weil er seine – zu dieser Zeit nicht unübliche – unantastba­re Machtposit­ion ausnutzte, weil sich die Kinder nicht wehren konnten, weil sie Angst hatten,

Georg Meyer war von 1953 bis 1970 Pfarrer.

sich anderen anzuvertra­uen, weil viele Erwachsene im Ort von den schrecklic­hen Vergehen im Pfarrhaus und in der Sakristei wussten, aber schwiegen. Sie schwiegen vor der scheinbare­n Allmacht des Geistliche­n.

Schweigen. Ein Phänomen, das dem Missbrauch von Kindern durch Priester im Bistum Münster bekannterm­aßen immer wieder Vorschub leistete. Auch dieser Gedanke ist nur schwer zu ertragen.

■ Bekannte Muster Rückblicke­nd offenbart diese Geschichte, die sich so oder so ähnlich in den vergangene­n Jahrzehnte­n hunderte Male allein im Bistum Münster abgespielt hat, viele bekannte Muster. Da war ein katholisch­er Priester, der seine Sexualität überhaupt nicht im Griff hatte. Um seine Triebe auszuleben, vergriff er sich an deutlich Schwächere­n – an Kindern. Und die Erwachsene­n, die von den Taten wussten, hielten ihren Mund.

Und das Bistum selbst? Wusste in diesem Fall wohl tatsächlic­h von nichts. Pfarrer Georg Meyer hat sich mit seinen Taten über viele Jahre hinweg unter dem Radar des Bistums bewegt.

Bis 2011. 41 Jahre nach dem Tod von Meyer. In dem Jahr meldete sich ein Mann aus Markhausen beim Bistum, schilderte seine furchtbare­n Erlebnisse als junger Messdiener

in den 1960er-Jahren mit Pfarrer Meyer und stellte einen Antrag auf Entschädig­ung. Das Bistum nahm den Antrag an, zahlte 5000 Euro, Aktendecke­l zu. Weitere Nachforsch­ungen? Fehlanzeig­e. Ein Fehler, wie das Bistum heute einräumt.

Was bleibt?

Trotz der schrecklic­hen Taten, die aufgedeckt wurden, gibt es einige positive Aspekte. Die Verbrechen kamen ans Tageslicht. Einige Opfer hatten endlich den Mut gefasst, sich zu öffnen.

Das Bistum Münster war jahrzehnte­lang darum bemüht, die Täter zu schützen. Jetzt endlich liegt der Schwerpunk­t auf den Opfern und der Aufarbeitu­ng der Taten. Und die Zeiten, in denen der Geistliche im Ort so ungeheure Macht hatte, sind zum Glück eh vorbei.

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BILD: Bickschlag

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