Nordwest-Zeitung

Der „No Deal“ist noch nicht vom Tisch

100 Tage nach dem Brexit fällt die Bilanz bitter aus – EU-Parlament verschiebt die Ratifizier­ung des Handelsver­trags

- Von Detlef Drewes, Büro Brüssel

Brüssel – 100 Tage haben gereicht, um aus einstigen Partnern erbitterte Widersache­r zu machen. Als an Heiligaben­d 2020 endlich das Handelsabk­ommen zwischen dem Vereinigte­n Königreich und der Europäisch­en Union stand, ahnte niemand, dass die bis dahin schon angespannt­en Beziehunge­n binnen kurzer Zeit in eine neue Rivalität münden würden.

Viele Sticheleie­n

„Ein Handelsabk­ommen kann nicht eine Mitgliedsc­haft im Binnenmark­t und in der Zollunion ersetzen. Das ist in den ersten Wochen deutlich geworden“, sagte der Chef des Auswärtige­n Ausschusse­s im EU-Parlament, David McAllister (CDU), am Freitag unserer Zeitung. „Statt eines reibungslo­sen Handels wie zuvor gibt es nun Hinderniss­e, die es jahrzehnte­lang nicht gab.“

Hinzukomme­n Sticheleie­n vor allem von der Seite Londons. Das begann mit der Weigerung der britischen Regierung, dem EU-Botschafte­r in London die volle diplomatis­che Anerkennun­g zu gewähren. Dann folgte die propagandi­stische Dauerschla­cht um

den Impfstoff von Astrazenec­a, den London aus EU-Produktion­sstandorte­n bezog, ohne auch nur eine Ampulle aus britischer Herstellun­g nach Europa zu lassen.

Wirklich zufrieden war mit dem Handelsver­trag niemand. Katarina Barley (SPD), Vizepräsid­entin

des EU-Parlamente­s, erklärte: „Viele Fragen sind trotz des Austrittsa­bkommens nicht geklärt. So hat die britische Regierung Übergangsb­estimmunge­n zum Handel mit Nordirland im Austrittsa­bkommen ohne Absprache mit der EU einseitig verlängert.

Die Kommission hat daher bereits ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren eingeleite­t.“

Tatsächlic­h wurde die Umsetzung der einzelnen Schritte von London um sechs Monate verschoben. Das hat Folgen: „Wenn die britische Regierung einzelne Verpflicht­ungen aus dem Nordirland-Protokoll einseitig aufkündigt, untergräbt das wertvolles Vertrauen. Im EU-Parlament werden diese Entwicklun­gen sehr genau registrier­t. Die Entscheidu­ng, wann das Plenum über das Handelsabk­ommen abstimmt, wurde noch nicht getroffen“, sagte McAllister.

Alles Makulatur

Genau genommen gilt der Vertrag nur vorläufig – ein Rückfall ist durchaus denkbar. Schon warnen erste Stimmen aus den Reihen der Volksvertr­eter vor einer No-Deal-Situation, sollte der Vertragste­xt nicht bis Ende April ratifizier­t sein. Die wenigsten glauben daran, dass das zu schaffen ist. Für die Beziehunge­n zwischen London und den 27 EU-Staaten könnte das gravierend­e Folgen haben. „Genau genommen wäre bei einem Kippen des Vertrages alles, was bisher vereinbart wurde, Makulatur“, heißt es von führender Stelle aus dem EU-Parlament.

 ?? AP-ARCHIVBILD: Seco ?? Am 31. Januar 2020 traten die Briten aus der EU aus, 100 Tage sind seit dem Brexit vergangen. Der Union Jack, die Nationalfl­agge des Vereinigte­n Königreich­s, weht nun nicht mehr vor dem Gebäude der EU-Kommission.
AP-ARCHIVBILD: Seco Am 31. Januar 2020 traten die Briten aus der EU aus, 100 Tage sind seit dem Brexit vergangen. Der Union Jack, die Nationalfl­agge des Vereinigte­n Königreich­s, weht nun nicht mehr vor dem Gebäude der EU-Kommission.

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