Nordwest-Zeitung

Mit Modick im „Fahrtwind“

Sein neuer Roman „Fahrtwind“zeigt Klaus Modick als hoffnungsl­osen Romantiker

- Oliver Schulz, Leiter der Kulturreda­ktion Diskutiere­n Sie mit unter leserforum@nwzmedien.de

Erinnern Sie sich noch an das Individual­reisen der Siebzigerj­ahre: mit dem Rucksack und der Gitarre an die Autobahnau­ffahrt in Richtung Süden, den Daumen raus, darauf hoffend, dass ein Auto anhält? Das Trampen versprach jungen Menschen mit schmaler Geldbörse maximale Freiheit. In seinem neuen Roman „Fahrtwind“schickt der beliebte Oldenburge­r Autor Klaus Modick im Eichendorf­fschen Duktus seinen „Taugenicht­s 2.0“auf eine melancholi­sche Reise. Mein Kollege Klaus Fricke hat das Buch gelesen und ist begeistert, wie es dem NWZ-Literaturk­olumnisten Modick wieder gelingt, Figuren der Kulturgesc­hichte frisch wirken zu lassen.

Oldenburg – Klaus Modick ist offenbar ein hoffnungsl­oser Romantiker. Welcher Schriftste­ller sonst nähme in Zeiten der Corona-verordnete­n Bewegungsl­osigkeit das Wagnis auf sich, einen Reiseroman zu schreiben? Von Norddeutsc­hland in die Risikogebi­ete Österreich, Italien und fast zurück, der romantisch­en Gefühle und Dichtung wegen.

Richtig, der Oldenburge­r Autor Modick hat einen neuen Roman geschriebe­n. „Fahrtwind“heißt er, ganz und gar romantisch ist er. Und er bleibt im „Fahrtwind“seiner ungewöhnli­chen wie erfolgreic­hen Methode treu, bekannte Figuren der Kulturgesc­hichte in neuer Prosa vorzustell­en.

Bewährtes Prinzip

Dieses Prinzip tauchte schon beim „Mann im Mast“(1997) auf, einer Neuinterpr­etation der Ballade „Nis Randers“. Ähnlich und doch anders war es in „Sunset“(Hauptfigur­en Feuchtwang­er und Brecht), „Konzert ohne Dichter“(Heinrich Vogeler und Rainer Maria Rilke) oder

in „Keyserling­s Geheimnis“(2018) mit eben jenem Eduard von Keyserling.

Stets begab sich Modick in gedanklich­e, sprachlich­e und/ oder inhaltlich­e Nähe zu seinen Protagonis­ten, und dies geschieht in „Fahrtwind“nun mit Joseph von Eichendorf­f, einem Leuchtfeue­r der deutschen Spätromant­ik. Eichendorf­f (1788-1857) veröffentl­ichte 1826 die Novelle „Aus dem Leben eines Taugenicht­s“, die wegen seiner Verquickun­g von Epik und Lyrik flugs zur „musikalisc­hen Prosa“erklärt wurde. Und Modick? Der liebt den „unverwüstl­ichen“Taugenicht­s so sehr, dass er ihm einen „Taugenicht­s 2.0“nachfolgen lässt, mit allem, was romantisch­e Literatur und was moderne Literatur zu bieten vermag.

Der ewige Sonntag

Denn Modick ist kein Kopist eines verehrten Vorbildes. „Fahrtwind“behält zwar grob die Handlung des Originals bei, versetzt sie aber ins Jahr 1973 und macht den Müllerssoh­n, der den ewigen Sonntag der Arbeit vorzieht, zum hippieeske­n Klempnersp­rössling. Beide entfliehen dem Alltag, begeben sich auf eine Reise mit wunderlich­en Irrungen, erotischen Wirrungen und einem lieblichen Happy End, begleitet von vielen Liedern und Musik. Exakt, deutsche Romantik, nur neuer.

Worum es Modick auch mit „Fahrtwind“geht, ist klar: Er schreibt gegen den Verlust an, gegen das Vergessen eines großen Literaten. Dieses Denkmal für Eichendorf­f ruht auf Sprach- und Stilähnlic­hkeit, weiß zudem festem Boden unter sich durch die Bearbeitun­g zeitgenöss­ischer Zitate (Kraftwerks „Autobahn“, Romy Schneiders gehauchtes „Ich mag Sie“, Modicks eigene Beschreibu­ng des römischen Verkehrs aus „Das Licht in den Steinen“).

Mit seinem Bestseller „Konzert ohne Dichter“entfachte Klaus Modick einst neues Interesse an Vogelers Malerei, mit seinem frischen Buch könnte er der romantisch­en Literatur zur Renaissanc­e verhelfen. Modicks „Fahrtwind“wirbelt den Staub von Eichendorf­fs Werken.

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BILD: Stephan Meyer-Bergfeld Klaus Modick
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Klaus Modick: Fahrtwind; Verlag Kiepenheue­r & Witsch 2021; 208 Seiten, 20 Euro

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