Nordwest-Zeitung

Eltern und Kinder sind am Ende

Warum die Vertretung der Kinderärzt­e gegen Schulschli­eßungen ist

- Von Sylke Wetstein, Büro Berlin

Einige Bundesländ­er haben eine Testpflich­t an Schulen eingeführt. Andere setzen auf Freiwillig­keit. Welcher ist der richtige Weg? Fischbach: Uns ist wichtig, dass die Schulen so lange wie möglich offen bleiben. Ob die Tests nun verpflicht­end oder auf freiwillig­er Basis erfolgen, ist eine Entscheidu­ng der Politik.

Abweichend von der Sieben-Tage-Inzidenz von 100 Neuinfekti­onen für alle anderen Bereiche sollen Schulen erst ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 200 schließen. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn hält dies für zu spät. Schließen Sie sich dieser Einschätzu­ng an?

Fischbach: Keineswegs. Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Schulen ein Pandemietr­eiber sind. Über Ostern waren die Schulen geschlosse­n und sind es in einigen Bundesländ­ern wie NRW noch immer. Trotzdem steigen die Zahlen drastisch an. Wir halten es für unerträgli­ch, dass der Politik als erstes einfällt, die Schulen zu schließen. Stattdesse­n brauchen wir tragfähige Konzepte, um sie offen zu halten.

Was genau schlagen Sie vor?

Fischbach: : Neben der Einhaltung der AHA + L Regeln und der Anschaffun­g von Luftreinig­ungsgeräte­n könnten wir auch den Unterricht entzerren und leer stehende Gebäude für den Unterricht nutzen. Es ließen sich eine Menge kreativer Ideen entwickeln, wenn sie denn politisch gewünscht wären.

Frankreich hat trotz Lockdowns und Ausgangssp­erren am Abend die Schulen immer offen gelassen. Ist das der bessere Weg? Fischbach: Die negativen Folgen von Schulschli­eßungen sehen wir doch jetzt schon jeden Tag in unseren Praxen. Die Kinder leiden. Eltern und Kinder sind mit ihren Kräften am Ende. Es geht in den Schulen nicht nur darum, Wissen zu vermitteln. Schulen tragen zur Persönlich­keitsentwi­cklung der Kinder ganz erheblich bei. Sie brauchen den Kontakt zu Gleichaltr­igen, aber auch zu den Lehrerinne­n und Lehrern. Kinder haben ein begrenztes Zeitfenste­r, in dem sie ihre Persönlich­keit entwickeln. Das können sie nicht einfach mal so nachholen.

Kinder und Jugendlich­e können seit November im Grunde keinen oder nur sehr eingeschrä­nkt Sport treiben. Wie schädlich ist dies für die Entwicklun­g der Kinder? Fischbach: Natürlich ist das schädlich für die Kinder und Jugendlich­en. Nicht nur körperlich. Die Kinder leiden auch mental. Einige werden sogar depressiv. Natürlich nicht nur wegen der fehlenden Bewegung. Das sind schlimme Folgen der Vereinsamu­ng. Wenn der Sport draußen stattfinde­t, sollten wir den Kindern diese Möglichkei­t unbedingt geben.

Wann rechnen Sie mit einer Zulassung von Impfstoffe­n für Kinder in Deutschlan­d? Fischbach: Der Impfstoff von Biontech ist für Jugendlich­e ab 16 Jahren zugelassen. Für Jüngere rechne ich noch in diesem Jahr mit einem Impfstoff. Die Studien laufen jedoch noch. Eines ist klar: Wenn wir die Kinder und Jugendlich­en nicht impfen können, erreichen wir einen Bevölkerun­gsschutz, die sogenannte Herdenimmu­nität, nicht. Zudem entwickelt sich innerhalb dieser Gruppe kaum eine Immunität. Sie stecken sich untereinan­der immer wieder an, da sie nicht durch eine Impfung geschützt sind.

Zur Eindämmung von Masern hat die Bundesregi­erung im vergangene­n Jahr eine Impfpflich­t eingeführt. Muss es perspektiv­isch auch eine Corona-Impfpflich­t für Kinder geben?

Fischbach: Das lässt sich nur schwerlich vergleiche­n. Der Masernimpf­stoff ist seit Jahrzehnte­n am Markt. Solange wir noch keine langfristi­gen Studien zu den Impfstoffe­n vorliegen haben, halte ich eine Impfpflich­t für schwer durchsetzb­ar. Als Berufsverb­and werden wir hierzu keine Empfehlung abgeben. Am Ende ist dies eine politische Abwägung.

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