Nordwest-Zeitung

Merkel verteidigt Bundes-Notbremse

Bundesregi­erung strebt mit Gesetzesvo­rhaben härteren Kurs im Kampf gegen Corona an

- Von Gernot Heller, Büro Berlin

Berlin – „Wir Politiker machen es ihnen wirklich nicht immer leicht.“Einen Moment lang ist Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) voller Verständni­s für die Menschen, die sich fragen, warum es die Verantwort­lichen in Bund und Ländern einfach nicht schaffen, die Corona-Infektions­welle zu brechen. Doch nach diesem kurzen Innehalten schaltet die Kanzlerin im Bundestag gleich wieder um, kämpft nüchtern und entschiede­n für ihren Weg. Und der trägt die Überschrif­t: Ein Ende des Flickentep­pichs in der Republik bei den Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie – mit Härte.

Der Bundestag debattiert­e am Freitag erstmals über den von Merkel und den Koalitions­fraktionen geforderte­n Weg einer Änderung des Infektions­schutzgese­tzes. Schon am Mittwoch soll das Vorhaben im Bundestag und Bundesrat abgeschlos­sen sein.

Angesichts der dritten Welle, einer bundesweit­en Inzidenz von über 160 und einer Belegung der Intensivbe­tten von knapp 4700 sprach Merkel von einer unveränder­t „sehr ernsten Lage“. Nach dem Chaos, mit den Ministerpr­äsidenten keine bundesweit einheitlic­he Maßnahmen-Linie zu erreichen, nannte die Bundeskanz­lerin die Bundes-Notbremse „dringend“und „überfällig“. Wie die Parteien dazu stehen:

Merkel und Scholz

Kanzlerin Merkel und auch Vize-Kanzler Olaf Scholz (SPD) halten bei aller Kritik an der Ausgangssp­erre von 21 bis 5 Uhr morgens in Landkreise­n mit einer Sieben-Tages-Inzidenz von über 100 fest – unterstütz­t von Karl Lauterbach, dem SPD-Gesundheit­sexperten und Epidemiolo­gen. Die Ausgangssp­erre sei beileibe kein Allheilmit­tel, könne aber im Konzert mit anderen Instrument­en einen Beitrag zur Pandemie-Bekämpfung leisten, so Merkel. Ähnlich argumentie­ren

Entschloss­ener Auftritt am Freitag im Bundestag: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hält die Bundes-Notbremse im Kampf gegen die Corona-Pandemie für „dringend“und „überfällig“.

Scholz und Lauterbach, auch wenn es in der SPD andere Stimmen gibt.

Opposition

Ganz anders sehen das die Opposition­sparteien. FDP-Chef Christian Lindner machte „verfassung­srechtlich­e Bedenken geltend, weil diese Sperre einen hoch problemati­schen, unangemess­enen Eingriff in Freiheitsr­echte darstelle. Werde das nicht korrigiert, dann werde sich seine Partei gezwungen sehen, „aus der FDPFraktio­n heraus den Weg nach Karlsruhe mit einer Verfassung­sbeschwerd­e zu gehen“.

Zweifel an der Angemessen­heit und Verhältnis­mäßigkeit äußerten auch die Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt und ihr Linken-Kollege Dietmar Bartsch. Noch weiter geht die AfD. Ihre

Fraktionsc­hefin Alice Weidel hält die Ausgangssp­erre nicht nur für verfassung­swidrig, sondern sie warf der Regie

rung vor, mit Grundrecht­seinschrän­kungen das Land „an die Wand zu fahren“– mit Riesen-Schäden.

■ Konsequenz­en

Einig waren sich die vier Opposition­sparteien in ihrer Kritik an dem Gesetzesvo­rhaben – doch ziehen sie unterschie­dliche Konsequenz­en. AfD und Linke kündigten an, gegen das Vorhaben zu stimmen. Grüne und FDP mahnten Nachbesser­ungen an und zeigten sich bereit dazu. Göring-Eckardt nannte das Vorhaben einen Notbehelf und schlug konkrete Änderungen vor wie schärfere Test-Vorschrift­en für Arbeitgebe­r, eine Ausdehnung der Notbremse auf InzidenzWe­rte von 50 oder gar 35 und die Absenkung des Wertes für Eingriffe in den Schulbetri­eb auf 50. FDP-Chef Lindner drängte auf mehr Differenzi­erungen, eine wirksamere Testund Impfstrate­gie sowie ein konkretes Stufenkonz­ept für Lockerunge­n und Beschränku­ngen.

Mehr als 25 000 CoronaNeui­nfektionen:

Die Gesundheit­sämter in Deutschlan­d haben dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 25 831 CoronaNeui­nfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 247 neue Todesfälle verzeichne­t. Das geht aus Zahlen von Freitagmor­gen hervor. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner lag laut RKI am Donnerstag­morgen bundesweit bei 160,1. Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 3 099 273 nachgewies­ene Infektione­n mit Sars-CoV-2 in Deutschlan­d. Die Gesamtzahl der Menschen, die an oder unter Beteiligun­g einer nachgewies­enen Infektion mit dem Coronaviru­s gestorben sind, stieg auf 79 628.

Neue Briefaktio­n:

Die Krankenkas­sen versenden seit Anfang voriger Woche Briefe im Namen von Niedersach­sens Sozialmini­sterin Daniela Behrens (SPD) an ihre Mitglieder, wenn diese wegen Vorerkrank­ungen Anspruch auf eine Impfung haben. Der Brief berechtigt ohne weiteres Attest zur sofortigen Covid-19-Impfung. Allerdings erhalten sowohl Menschen, die bereits geimpft sind, als auch Bürger ohne Vorerkrank­ungen das Schreiben, kritisiere­n die Grünen im Landtag.

Bundesregi­erung streicht Großbritan­nien von CoronaRisi­koliste:

Wegen der stark gesunkenen CoronaInfe­ktionszahl­en in Großbritan­nien streicht die Bundesregi­erung das Land mit Ausnahme einzelner Überseegeb­iete an diesem Sonntag von der Liste der Risikogebi­ete. Das teilte das Robert Koch-Institut am Freitag im Internet mit. Damit entfällt für Einreisend­e aus Großbritan­nien die Quarantäne­pflicht. Zwei beliebte Urlaubsreg­ionen in Portugal werden wegen steigender Infektions­zahlen dagegen wieder als Risikogebi­ete eingestuft: die Algarve im Süden des Landes und die Azoren im Atlantik. Wer von dort nach Deutschlan­d einreist, muss sich ab Sonntag wieder für zehn Tage selbst isolieren und kann sich erst nach fünf Tagen durch einen zweiten Test davon befreien.

Dorf mit gegensätzl­ichen Corona-Regeln:

Für das Dorf Krummesse in Schleswig-Holstein gelten unterschie­dliche Corona-Regelungen, weil es teilweise zu Lübeck und teilweise zum Herzogtum Lauenburg gehört. Da in Lübeck aktuell eine Sieben-Tage-Inzidenz von 62 herrscht, darf die Außengastr­onomie öffnen, bestätigte Bürgermeis­ter HansPeter Fiebelkorn der Nachrichte­nagentur dpa. Im Herzogtum Lauenburg gibt es eine Inzidenz von über 150 – und damit die Notbremse. Im Lauenburge­r Teil von Krummesse bleibt daher die Außengastr­onomie geschlosse­n, und Bewohner dürfen höchstens einen weiteren Menschen treffen.

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Imago-BILD: Kern

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