Vladimir Nabokov: Die Gabe (1938)
Wenn man diesen Roman gelesen hat, fühlt man sich beschenkt – was man geschenkt bekommen hat, weiß man allerdings nicht genau. „Die Gabe“ist Nabokovs achter ten im Berlin der Zwanzigerjahre schildern, andererseits zwei eigenständige Biografien enthalten, die dieser junge Russe geschrieben hat. Eine befasst sich mit Lenins Lieblingsautor, dem Frührevolutionär Tschernyschewskij und dessen Hauptwerk „Was tun?“, die andere mit dem Vater des Helden, der auf einer seiner Forschungsreisen in Sibirien verschollen ist.
„Die Gabe“– der Titel ist Programm: Großzügig verteilt Nabokov Erinnerungssträuße, Vorstellungsarrangements, Gedankenbouquets und Gefühlsgebinde, liebevoll einge
Klaus Modick Bernd Eilert. wickelt in die geheimnisvoll knisternde Klarsichtfolie einer Sprache, in der selbst die Stilblüten noch hübscher duften als alles, was gegenwärtig auf dem Markt welkt. Liebesroman, Künstlerporträt, Reiseerzählung, Politsatire, Exilpanorama, Kindheitserinnerung, Familiengeschichte, sogar ein erster Entwurf für Nabokovs späteren Welterfolg „Lolita“taucht beiläufig darin auf.
Das klingt so verwirrend wie es nun einmal ist. Zusammengehalten wird all dies durch das Talent eines Autors, der die Sprache beherrschte, indem er sich scheinbar von ihr mitreißen und forttragen ließ zu den gewagtesten Manövern und Spielereien.
Wo bei anderen Autoren ihr Sendungsbewusstsein sitzt, thront bei Nabokov ein überragendes Blendungsvermögen – wer sich bezaubern lässt, wird seinen Stil glasklar und so durchsichtig finden, dass sogar Dinge, die weit hinter den Wortlauten liegen, noch im Gegenlicht aufschimmern.
Das Buch Vladimir Nabokov: Die Gabe (1938). Die Kolumne „Ein Jahrhundert – 100 Bücher“erscheint regelmäßig exklusiv in dieser Zeitung. Alle Folgen zum Nachlesen sind zu finden unter
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