Nordwest-Zeitung

Deutschlan­d sucht den neuen Schach-Weltmeiste­r

Seit 100 Jahren keiner mehr auf dem Thron – Vincent Keymer gilt als größtes Talent

- Von Ralf Jarkowski

Berlin – Als José Raúl Capablanca seinen schwarzen Läufer auf e4 zieht, den Bauern schlägt und die 14. Partie gewinnt, ist der Kubaner erstmals Schach-Weltmeiste­r. Geschichte schreibt sein Gegenüber: Emanuel Lasker muss sich im schwül-heißen Havanna geschlagen geben, entnervt gibt er später auf, nach stolzen 27 Jahren auf dem Thron verliert der Deutsche die Krone. Es ist der 21. April 1921 – erst sechs Tage später wird Capablanca zum Sieger erklärt.

Der damals 14-jährige Vincent Keymer (rechts) gegen Magnus Carlsen

Bis heute ist Lasker der erste und einzige Champion unter den Denkriesen. Im Jahr 2008 wird er sogar in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenomme­n. Ein Jahrhunder­t lang kommt kein Welt

Eine Fußballare­na für Oldenburg: So könnte ein kleines Stadion von innen aussehen. meister mehr aus Deutschlan­d. Dabei mangelt es nicht an Talenten, im Nachwuchsb­ereich U 16 und U 18 gab es schon Welt- und Europameis­ter. Vincent Keymer gilt als größte Hoffnung. Der 16-jährige Schüler aus dem rheinlandp­fälzischen Saulheim stieg im Oktober 2019 mit 14 Jahren, elf Monaten und vier Tagen zum jüngsten deutschen Großmeiste­r der Historie auf.

Weltmeiste­r Magnus Carlsen brauchte bei der „Grenke Chess Classic“in Karlsruhe vor zwei Jahren fast sieben Stunden, um Keymer zu schlagen.

Im nächsten Jahr will der Teenager sein Abi bauen – und sich dann erst einmal ganz auf Schach konzentrie­ren.

Bundesnach­wuchstrain­er Bernd Vökler muss bei der „Jahrhunder­tfrage“schmunzeln. „Von den 29 Olympiasie­gern über 100 Meter kommt ja auch nur einer aus Deutschlan­d. Und im Schach, da gab es in 135 Jahren nur 16 Weltmeiste­r“, betonte der Thüringer. „Von der Schachtrad­ition in Georgien, Indien oder Russland sind wir meilenweit entfernt.“Usbekistan wolle es als Schulpflic­htfach einführen.

„In Georgien bekommt jede Braut zur Hochzeit ein Schachbret­t geschenkt“, sagt Vökler. Im Winterspor­t-Mutterland Norwegen werden Schachturn­iere seit Jahren online in Echtzeit übertragen – dank Volksheld Carlsen. „Es gibt so viele starke junge Spieler mit großem Potenzial. Man kann ja nicht sagen: Wir haben jetzt 20 Wunderkind­er in der Schachwelt, und die werden alle Weltmeiste­r“, meinte Vincent Keymer und lacht: „Ich bin der Letzte, der sich beschwert, wenn ich am Ende Weltmeiste­r werde.“

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