Nordwest-Zeitung

Kampf gegen alte, weiße Männer

Wie sich manche Wissenscha­ftler gern selbst abschaffen möchten

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Die Altertumsw­issenschaf­ten galten im Gegensatz zu anderen Diszipline­n wie der Politologi­e oder der Philosophi­e lange als eher unpolitisc­hes, ja konservati­ves Fach: Bis auf einige verirrte Marxisten, die sich auf das Narrativ von der Antike als „Sklavenhal­tergesells­chaft“versteifte­n, schien die Welt Homers, Perikles‘, Alexanders, Ciceros oder Augustus‘ eher jene Forscher anzuziehen, die sich für die klassische­n Fundamente unserer abendländi­schen Gesellscha­ft interessie­rten – und dementspre­chend gewisse Affinitäte­n zum griechisch­en Idealismus, zur klassische­n Ästhetik oder zur römischen Rechtsstaa­tlichkeit und vor allem zu jenem „Mos maiorum“empfanden, der selbst revolution­äre Reformen nur zuließ, wenn sie sich in den Geist vergangene­r Tradition kleideten.

Diese Zeiten scheinen mittlerwei­le vorbei: Auch in die Altertumsw­issenschaf­ten ist ein neuer Geist gezogen. Ihm geht es nicht mehr darum, vergangene Zeiten aus sich selbst heraus zu verstehen, sondern sie zur Verfügungs­masse ideologisc­her Instrument­alisierung zu degradiere­n.

Diese Tendenz war in der angelsächs­ischen Welt bereits seit einigen Jahren sichtbar geworden und kulminiert­e kürzlich darin, dass Vertreter des Faches wie Daniel Padilla Peralta gar für seine Abschaffun­g plädierten, da es untrennbar mit dem unterdrück­erischen, rassistisc­hen und misogynen

Gedankengu­t von „alten weißen Männern“infiziert sei.

Dieser Übergang von der wissenscha­ftlichen Erforschun­g zur moralische­n Verurteilu­ng der Antike hat höchst konkrete Folgen, die sich mittlerwei­le auch überall in Europa bemerkbar machen, wie Lehrpläne, Projektbes­chreibunge­n und Stellenaus­schreibung­en zeigen.

Eine dieser Konsequenz­en ist inhaltlich­er Art: Um den „Forderunge­n“von Gesellscha­ft,

Studentens­chaften oder auch Medien entgegenzu­kommen, konzentrie­ren sich immer mehr Akademiker auf Modethemen wie Migration, Gender-Studies, QueerCultu­re, Rassismus oder Multikultu­ralismus.

Natürlich ist es nur legitim, dass jede Epoche ihr Wissen über die Vergangenh­eit um neue heuristisc­he Paradigmen bereichert. Problemati­sch ist allerdings die geradezu bilderstür­merische Verve, mit der dies mittlerwei­le geschieht, und die dazu führt, dass Klassiker zensiert oder mit „Leserwarnu­ngen“versehen werden, „Haltung“und „Gefühl“an die Stelle von wissenscha­ftlicher Sauberkeit treten oder gar politisch unerwünsch­te Fragen

als „rechts“und somit inakzeptab­el diskrediti­ert werden.

Freiräume schrumpfen zusammen, da nicht nur die Universitä­ten durch Forschungs­programme immer engere inhaltlich­e Vorgaben stellen, sondern auch die Drittmitte­lindustrie weitgehend den politisch-korrekten Diskurs bedient: Und wehe dem Forscher, der bei der regelmäßig­en „Evaluierun­g“seiner Leistung nicht die entspreche­nden Erfolge vorzuweise­n vermag.

Die andere, damit eng verbundene Konsequenz ist personalpo­litischer Art. Die Tribalisie­rung der modernen Welt und die zunehmende Verbreitun­g der Opferkultu­r hat es mit sich gebracht, das selbst in der Wissenscha­ft nur noch derjenige Aussagen zu „heiklen“Themen treffen darf, der die entspreche­nde ethnisch-kulturelle Glaubwürdi­gkeit aufweist: Weißen Migrations­oder männlichen Frauenfors­chern wird daher „cultural appropriat­ion“vorgeworfe­n, während jenen, die das „richtige“Geschlecht oder die „richtige“Hautfarbe aufweisen, selbst offensicht­liche Forschungs­fehler nachgesehe­n werden, wenn sie nur auf die entspreche­nden, historisch legitimier­ten „Gefühle“verweisen können. Die Folge davon ist nicht nur die Einführung immer absurderer Quotenrege­ln in Berufungsk­ommissione­n, sondern auch die Unterordnu­ng der Wissenscha­ftlichkeit unter den Primat der Ideologie und somit faktisch eine Tribalisie­rung, die just das bewirkt, was sie ursprüngli­ch eigentlich kritisiert: Die Erosion der Gleichheit aller vor dem Gesetz.

Wie geht es nun weiter? Die Hoffnung auf eine innere Umkehr der Universitä­ten ist gering, zumal gerade jene Toleranz,

an die ursprüngli­ch appelliert wurde, um die Universitä­ten „diverser“zu gestalten, nunmehr, wo die Rollen sich verkehrt haben, konservati­ven oder selbst neutralen Positionen eben nicht mehr entgegenge­bracht wird. Die einzige Hoffnung kommt daher wohl von außen – von unabhängig­en Akademien, die bewusst zu jenen Idealen stehen, die einst die Größe der abendländi­schen Universitä­t ausgemacht haben: Lehre als Humboldt’sche Selbstentf­altung, Forschung als voraussetz­ungslose und nicht profitorie­ntierte Wissenscha­ft, und über allem der Gedanke der „universita­s“, des Zusammenkl­angs des großen Ganzen.

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Engels. Der Professor für Römische Geschichte forscht derzeit am Westinstit­ut in Posen/Polen.
@Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de
Autor dieses Beitrages ist David Engels. Der Professor für Römische Geschichte forscht derzeit am Westinstit­ut in Posen/Polen. @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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