Literarischer Landgang
Im Nordwesten – Eigentlich ist der Nordwesten Deutschlands nichts Halbes und nichts Ganzes. Auf dem Kompass steht NW für die Nebenhimmelsrichtung, die die Winkelhalbierende zwischen West und Nord darstellt.
Um herauszufinden, wer und was sich im Nordwesten verbirgt, bereisen seit 2015 alljährlich im Herbst, ausgestattet mit einem Stipendium, deutschsprachige Schriftstellerinnen und Schriftsteller den Landstrich „links oben“. Sie treffen auf Stadtlandschaften unterschiedlichen Charakters, auf Kultur- und Agrarlandschaften und erleben dabei sehr viel Natur zwischen den Nordseeinseln und den Dammer Bergen, zwischen der Weser und Ostfriesland. Ihre Beobachtungen lassen sie in einen Text einfließen.
Es sind in den vergangenen fünf Jahren bekannte Autoren, ausgewiesen brillante Schreiber zum „Literarischen Landgang“aufgebrochen: Matthias Politycki, Marion Poschmann, Michael Kumpfmüller, Mirko Bonné und Judith Hermann. So zielt das Projekt nicht auf Regionalliteratur; es bedient keine lokalen Eitelkeiten.
Auch deshalb ist es an der Zeit, die literarischen Reflexionen der Reisen auch einer größeren, nicht regional verorteten Leserschaft zu er
Matthias Politycki schließen: als herausragende Beispiele zeitgenössischer Reiseliteratur. Als Anthologie sind sie nun, herausgegeben von Monika Eden, der Leiterin des Oldenburger Literaturhauses, im Wallstein Verlag erschienen.
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„Provinz, wie man sie noch bis zur Jahrtausendwende kannte, gibt es anscheinend in Reinform gar nicht mehr. Sie ist nur auf andere Weise globalisiert als die Metropolen, und man muss doppelt so genau hinblicken wie dort, um es zu erkennen.“
Der Reiseessay „Wo ist überhaupt noch Provinz? Das Oldenburger Land, von Osaka aus betrachtet“handelt die Stationen des Landgangs nicht der Reihe nach ab. Genereller ist das Interesse des Schriftstellers. Das jeweils Typische der Beobachtungen stellt er in einen pointierten Vergleich.
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Matthias Politycki
Marion Poschmann
„Ich werde also, so war mein Plan, wie Basho in den wilden Norden meines Landes reisen. Schmale Pfade, Radwege, Hinterland, stürmische Nordsee, alles ist stimmig. Ich verfasse ein Reisetagebuch, und wenn sich ein Gedicht einstellt, werde ich es einbeziehen. Vor allem aber, dachte ich, setze ich mich auf die Spur des Faden.“
Mit der Verbindung von Prosa und Lyrik bleibt Poschmann in ihrem Reisetagebuch „Das Fade-Orte-Projekt (Oldenburger Land)“nahe am Reisebuch des japanischen Schriftstellers Basho, das sie im Prolog als Vorbild nennt. In Haikus und Gedichten lässt sie die Motive und Themen der Prosapassagen aufscheinen.
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Michael Kumpfmüller
„Den Fluss weiß sie noch, das kleine Bordell in Jever, die sich in der Sonne räkelnden Seehunde, das Akropolis, eins und zwei, die Deichlandschaft, Meere und Himmel, die Windräder und Kühe; dass wir den verdammten ,Getränke Hoffmann’ nicht gefunden haben.“
Das Projekt
„Literarischer Landgang“, das seit 2015 vom Literaturhaus Oldenburg in Zusammenarbeit mit der Kulturstiftung Öffentliche Oldenburg durchgeführt wird, setzt einen deutlichen Akzent in der bundesweiten Literaturförderung und betont zugleich Regionalität.
Bereits während seiner Erkundungstour stand für Kumpfmüller fest, dass er seine Beobachtungen in einen literarischen, fiktiven Text einfließen lassen würde. Seine Erzählung trägt den Titel „Der gute Gott von Oldenburg“.
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Mirko Bonné
„Die weiten Felder im tiefen Nordwesten, westlich von Bremen, vor dem Seewind geschützt durch Waldinseln, geometrisch anmutenden Waldungen. Auch die Kühe, im Widerstand gegen den Wind, rebellische Rinder, fleckig wie das platte Land.“
Erste Notate und Fotos stellte Bonné schon kurz nach der Landgang-Reise in den Blog. Insgesamt 15 Landgänge veröffentlichte er dort. Sie wurden zur Grundlage für sein Reise@ https://bit.ly/3tWYamo journal „In der Mitte der Weite“, das poetische, historische und narrative Einträge mit sieben Gedichten verbindet.
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Judith Hermann
„Der Samstag still wie ein Sonntag, Himmel wolkenlos wie im August, das Motorengeräusch eines Propellerflugzeuges ein Geräusch aus dem Sommer, friedlich, die Zeit ist eigenartig gedehnt und weit. Schläfrigkeit eines Septembernachmittags, verlorene Liebesmüh
im schönsten Sinn, all das Nichtbeschlossene und ebenso wenig Gedachte eines sich neigenden Jahres, das deutlich zu Tage tritt; später wird mir die Reise vorkommen wie ein unlösbares Rätsel.“
Hermann ließ sich von Zeichner Andreas Reiberg begleiten. Die doppelte Wahrnehmung und die Überführung in Text und Zeichnung bereichern das Reiselogbuch „Land, Kreise, Ziehen, Weiterziehen“zum künstlerischen Dialog.