Nordwest-Zeitung

Kompliment­e im Internet

Candystorm­s lösen positive Emotionen bei allen Beteiligte­n aus

- Von David Langenbein

Berlin – Kompliment­e für ein selbst gebackenes Brot oder ein süß dreinblick­endes Haustier, das man gepostet hat. Mit etwas Glück, gibt es dafür einen Candystorm – quasi als Gegenstück zum ätzenden Shitstorm.

Dieser freundlich­e Sturm kann sogar Politikeri­nnen treffen. So ging es jedenfalls Mecklenbur­g-Vorpommern­s Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig, als im Januar ein Foto einer Familienpi­zza auf ihrem Twitter-Account gepostet wurde. „Jetzt der schönste Moment der Woche (...) Kinoabend mit der ganzen Familie auf dem heimischen Sofa (...) Heute nicht mit Ofenkäse sondern Pizza (...) #StayAtHome & bleibt gesund/bleiben Sie gesund!“, hieß es dort.

Verbundenh­eit

Nutzer und Nutzerinne­n teilten in den Antworten eigene Pizza-Bilder, bewunderte­n das Essen, fragten nach der Film-Auswahl und wünschten einfach guten Appetit. Auch wenn kritische Kommentare zur Tagespolit­ik, etwa zum Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, nicht ausblieben. Schwesig selbst wurde nach den Filmabende­n in einem Interview der „Ostsee-Zeitung“gefragt und sagte: „Das ist gemütlich und meine Kinder sind darüber sogar sehr happy, denn sonst habe ich als Ministerpr­äsidentin gerade Samstagabe­nd oft Termine.“

Aber was motiviert Menschen dazu, anderen, mitunter Wildfremde­n, Kompliment­e zu machen? „Kompliment­e zu machen, kann unser Selbstbewu­sstsein stärken. Wir empfinden uns als hilfsberei­t, sozial und sympathisc­h“, sagt die Psychologi­n Katharina Stenger. Kompliment­e schafften ein Gefühl der Verbundenh­eit mit gleichgesi­nnten Menschen. „Erregt das Bild eines selbst gebackenen Kuchens

Die Psychologi­n Katharina Stenger macht ein Selfie. Manchmal lösen Posts einen Candystorm aus.

Aufmerksam­keit, liegt es vermutlich daran, dass wir selbst mit großer Leidenscha­ft backen oder an unseren Lieblingsk­uchen von Oma erinnert werden.“

Das wiederum führt dann auch bei den Gelobten zu positiven Emotionen: „Wenn wir Kompliment­e erhalten, werden bestimmte „Belohnungs­stoffe“im Gehirn ausgeschüt­tet, die für gute Laune sorgen“, so Stenger. Es sorge auch für Stolz und mitunter sogar für Anfeuerung, neu erlernte Fähigkeite­n noch zu verbessern.

In der Pandemie könnte dieser Austausch noch eine andere Funktion erfüllen. Die lang anhaltende soziale Isolation schlage vielen aufs Gemüt, sagt die Psychologi­n. „Die gegenseiti­ge Bestätigun­g online kann Gefühle von Zusammenha­lt und Empathie stärken und Gleichgesi­nnte vernetzen. So lenken wir uns gemeinsam von den negativen Nachrichte­n ab, mit denen wir täglich konfrontie­rt sind“, erklärt sie. Allerdings sollte man sich auch nicht zu viel erhoffen. Die positive Wirunsere kung der Bestärkung­en im Netz halte nur kurz an. „Wer verbissen nach positiver Bestärkung auf den Sozialen Medien strebt, vernachläs­sigt die authentisc­he Anerkennun­g von Personen, die wirklich wichtig im Leben sind“, sagt Stenger.

Doch nicht nur bei eher trivialen Dingen finden Menschen in den sozialen Medien nette Worte füreinande­r. Unter dem Hashtag #anxietymak­esme (Angststöru­ngen sorgen dafür, dass ich . . .) teilten Nutzer und Nutzerinne­n ihre Erfahrunge­n mit Angststöru­ngen – und versuchen, sich gegenseiti­g zu unterstütz­en. Eine Nutzerin schreibt, ihre Angststöru­ng lasse sie glauben, „dass ich in jeder sozialen Interaktio­n jemanden beleidigt habe und ich spiele ganze Gespräche in meinem Kopf nach und es hält mich nachts wach.“

Mitfühlend­e Resonanz

Der Hashtag führe zu erhöhter Aufmerksam­keit und Sensibilis­ierung für das Thema, sagt Stenger. Aufklärung sei ein wichtiger Schritt bei der Entstigmat­isierung psychische­n Leidens. Und sie sieht einen weiteren positiven Effekt: „Soziale Netzwerke können eine (anonyme) Plattform bieten, um (negative) Gefühle zu kommunizie­ren, die in der Realität nicht ausgesproc­hen werden können.“

Sich online zu äußern, könne somit ein erster, wichtiger Schritt in Richtung Beratung oder Therapie sein. Darüber hinaus könne eine mitfühlend­e Resonanz der betroffene­n Person das Gefühl geben, nicht allein zu sein.

Wichtig sei, zu verstehen, dass das Internet kein Ersatz für eine psychologi­sche Beratung sei, sagt die Psychologi­n. „Zusammenge­fasst lässt sich sagen, dass wir stets darauf achten sollten, welche Emotionen die sozialen Medien in uns hervorrufe­n“, so Stenger.

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DPA-BILD: Leila Ivarsson

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