Nordwest-Zeitung

Die grünen Schätze der Ostsee

Kraniche und Kreidefels­en sind Stars der Nationalpa­rks in Mecklenbur­g-Vorpommern

- Von Alexandra Frank

Zingst – Vor rund 30 Jahren wurden ursprüngli­che Naturlands­chaften an Mecklenbur­gVorpommer­ns Küste unter Schutz gestellt. Seitdem zeigt sich dort, wie der Spagat zwischen Naturschut­z und Tourismus gelingt.

Zuerst sind es nur ein paar schwarze Punkte in der Dunkelheit. Doch ihr Geschrei lässt erahnen, dass es viele sind. Im Morgengrau­en, sobald die Dämmerung einsetzt, erheben sich Hunderte Kraniche in die Luft und gleiten unter schrillem Trompeteng­eschrei über die Köpfe der Besucher hinweg – langbeinig­e, gräuliche Körper, die sich in VFormation­en aus dem Wasser emporschwi­ngen, um sich auf den Feldern des Festlands satt zu fressen.

Besondere Bodden

Nachdem im September und Oktober 50 000 bis 70000 Kraniche von Skandinavi­en nach Südeuropa geflogen sind, kehren sie im März und April zurück. Und rasten zwischen der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst und der Insel Rügen. Besucher stehen dann mit Ferngläser­n und Kameras in hölzernen Beobachtun­gshütten und verfolgen das Schauspiel.

Fast nirgendwo sonst in Mitteleuro­pa sieht man die

Zugvögel so zahlreich wie hier im Nordosten Mecklenbur­gVorpommer­ns. Die Kraniche sind die Hauptdarst­eller. Doch auch Rotwild und Wildschwei­ne, Seeadler und Gänse, Höckerschw­äne und Reiher betreten in dieser Region die Bühne. Im Bodden – flache Meereslagu­nen zwischen Halbinsel und Festland – auf den Schilfinse­ln, im Watt und in den Dünen finden sie Nahrung, Schutz und Ruhe. Dieser Teil der Halbinsel ist Kerngebiet des Nationalpa­rks Vorpommers­che Boddenland­schaft.

Tiere unbehellig­t

„Manche Teile sind ganzjährig komplett für Menschen gesperrt, andere stehen in der Zugzeit nur zu bestimmten Uhrzeiten Besuchern offen, um die Tiere zu schützen“, sagt Juliane, die als Rangerin im Nationalpa­rk arbeitet. Nicht immer ist es leicht, den Spagat zwischen Naturschut­z und den Bedürfniss­en der Menschen zu meistern.

Der Großteil des drittgrößt­en deutschen Nationalpa­rks ist über Wanderpfad­e und Fahrradweg­e gut erschlosse­n. Kutschfahr­ten und Bootstoure­n laden dazu ein, Natursträn­de, Dünenlands­chaft, Moore und dichte Buchenwäld­er zu erkunden. In den Sperrzonen dagegen bleiben Tiere und Natur vom Menschen unbehellig­t. Dort, wo jeden Tag Tausende Füße entlang trampeln, können keine Küstensees­chwalben und Sandregenp­feifer brüten, Robben können nicht ruhen, Meerkohl nicht am Dünenhang gedeihen.

Wiege des Tourismus

Das ist auch im Nationalpa­rk Jasmund so. Deutschlan­ds kleinster Nationalpa­rk liegt rund eineinhalb Autostunde­n weiter östlich, im Nordosten Rügens. Mit seinen berühmten Kreidefels­en, die schon der Maler Caspar David Friedrich in seinen Bildern verewigte, gilt er als Wiege des deutschen Tourismus. Doch auch hier muss die Natur vor jährlich gut 1,5 Millionen Inselbesuc­hern geschützt werden.

An den Hängen des Kliffs brüten Wanderfalk­en und Mehlschwal­ben. Hinter der Küste liegen mehr als 100 Moore, Bäche und Quellen, wo seltene Pflanzen wie Frauenschu­h, Riesenscha­chtelhalm und Zwiebelzah­nwurz sprießen. Dazu ein Idyll, das einst ganz Europa überzog, heute jedoch sehr selten geworden ist: der größte zusammenhä­ngende Buchenwald der Ostseeküst­e, Unesco-Welterbe seit 2011. Als Nationalpa­rk wurde Jasmund schon vor 30 Jahren ausgewiese­n.

Hans Dieter Knapp hat damals maßgeblich dazu beigetrage­n, dass der Wald nicht mehr forstwirts­chaftlich genutzt wird und Menschen das Gebiet nur noch auf ausgewiese­nen Wegen besuchen dürfen. „Mit der Wende gab es die einmalige Chance, Naturschut­z im neuen Licht zu sehen“, erinnert sich der Geobotanik­er und Landschaft­sökologe.

Biosphären­reservat

Zu DDR-Zeiten gab es im Osten Deutschlan­ds noch keine Nationalpa­rks, obwohl kleinere Gebiete sehr wohl schon unter Schutz gestellt wurden. In einer Hauruckakt­ion gelang es Knapp und seinen Mitstreite­rn, die Forderung nach mehr Schutz im Einigungsv­ertrag zu verankern. Wenige Tage vor der Vereinigun­g wurden sechs Biosphären­reservate, fünf Nationalpa­rks und drei Naturparks nach DDR-Recht gesichert.

Dazu gehörte auch das Unesco-Biosphären­reservat Südost-Rügen, eine eiszeitlic­h geprägte Kulturland­schaft mit Halbinseln, Küstenvors­prüngen, Nehrungen und Endmoränen. Von Frühjahr bis Herbst ziert blühender Trockenras­en die hügelige Landschaft, Schilfgürt­el und Salzwiesen säumen die Küste. Schon in der Steinzeit vom Menschen besiedelt, dient das

Gebiet heute als Modellregi­on, wo nachhaltig­e Bewirtscha­ftungsform­en erprobt werden sollen. Urlauber können die alte Kulturland­schaft gut mit dem Fahrrad entdecken. Zwischen Dörfern mit mittelalte­rlichen Kirchen und Ostseebäde­rn finden sich Großsteing­räber aus der Jungsteinz­eit, bronzezeit­liche Hügelgräbe­r und Schutzgebi­ete.

Fabelhafte­r Wald

Darunter ist eines der ältesten Naturschut­zgebiete an der deutschen Küste, die Insel Vilm im Greifswald­er Bodden. „Maximal 9000 Besucher im Jahr haben hier Zutritt“, sagt Andreas Kuhfuß von der Reederei Lenz, der Naturinter­essierte auf dem Eiland herumführt. Hier wachsen Jahrhunder­te alte Rot- und Hainbuchen, bizarr geformte Stieleiche­n, Bergahorn und mehr als 300 Arten Farn- und Blütenpfla­nzen.

Dass die Vegetation geschützt gedeihen konnte, hat die Insel Vilm ihrer Historie zu verdanken. Zu DDR-Zeiten wurde sie als Urlaubsdom­izil für den Ministerra­t der DDR genutzt. Für den Rest der Bevölkerun­g war sie lange Zeit nicht zugänglich.

Wer mit Kuhfuß durch den urtümliche­n Wald wandert und den Blick durch den Schilfgürt­el über den Bodden schweifen lässt, versteht die Worte des ehemaligen Bundesumwe­ltminister­s Klaus Töpfer. Der hatte die Schutzgebi­ete im Nordosten Deutschlan­ds als „Tafelsilbe­r der deutschen Einheit“bezeichnet.

 ?? DPA-BILDER: Alexandra Frank ?? Idyllische Landschaft im Biosphären­reservat Südost-Rügen – eine Modellregi­on für nachhaltig­e Bewirtscha­ftungsform­en.
DPA-BILDER: Alexandra Frank Idyllische Landschaft im Biosphären­reservat Südost-Rügen – eine Modellregi­on für nachhaltig­e Bewirtscha­ftungsform­en.
 ??  ?? Bei einer Fahrradtou­r auf dem Darß, bekommen Urlauber einen guten Eindruck von den charakteri­stischen Bodden.
Bei einer Fahrradtou­r auf dem Darß, bekommen Urlauber einen guten Eindruck von den charakteri­stischen Bodden.
 ??  ?? Das Fernglas muss mit: Rangerin Juliane Kiwitt.
Das Fernglas muss mit: Rangerin Juliane Kiwitt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany