Nordwest-Zeitung

Irrtum: „Bäume müssen geschnitte­n werden“

Bäume beherrsche­n die Selbstregu­lierung – Anpassung an urbanen Raum

- Von Jan Und Joshua Feldmann

Immer wieder bekommen wir zu hören „Gut, dass endlich mal wieder jemand den Baum schneidet. Der wurde schon ewig nicht mehr geschnitte­n!“Der Irrglaube, dass der Baum einen Schnitt benötigt, um vitaler zu werden, kranke Äste loszuwerde­n oder um ihn „anzuregen“ist weit verbreitet.

Aber Bäume beherrsche­n die Selbstregu­lierung in Perfektion. Sie haben sich in den etwa 300 Millionen Jahren ihrer Evolution perfekt an ihre Lebensräum­e angepasst. Die größte Gefahr für den Baum sind die holzzerset­zenden Pilze sowie die Auswirkung­en des Menschen im urbanen Bereich mit Grabungen, Bodenverdi­chtungen und anderem.

Effektiver Pilzschutz

Mit ihrer schützende­n Borke haben die Bäume einen sehr effektiven Pilzschutz entwickelt. Schafft es ein Pilz durch eine Verletzung der Borke in den Baum zu gelangen, setzt ein ausgeklüge­ltes und hochkomple­xes Abwehrsyst­em ein. Der Baum schottet sich von innen heraus ab und versucht zeitgleich die Verletzung von außen durch die Bildung von Wundholz zu „überwallen“. Auch bei lang ausladende­n Ästen oder sogar

Schiefstan­d von Bäumen ist in der Regel kein Schnitt notwendig. Denn der Baum kann mit der Bildung von Reaktionsh­olz auf Veränderun­gen oder Schäden reagieren.

Bäume brauchen uns Menschen nicht, sie brauchen keinen „Schnitt“. Bäume können uralt werden, ohne dass sie jemals geschnitte­n wurden. In der Regel richten wir Menschen mit dem Baumschnit­t sogar eher Schaden an. Denn jeder Schnitt verursacht eine Verletzung, die als Eintrittsp­forte für Pilze dient. Zudem benötigt der Baum für den Prozess der Abschottun­g und für das Überwallen der Schnitte viel Energie.

Verkehrssi­cherheit

Wieso werden Bäume denn so häufig geschnitte­n, fragt man sich nun. Dazu sollte man wissen, dass Baumeigent­ümer verpflicht­et sind, ihre Bäume verkehrssi­cher zu halten. Das bedeutet, dass bei Gefahren für die Öffentlich­keit durch z.B. tote oder lose bzw. angerissen­e Äste in der Krone, Maßnahmen ergriffen werden müssen, um diese zu entfernen. Auch wenn Äste in den öffentlich­en Verkehrsra­um ragen, muss der sogenannte „Lichtraum“eingehalte­n werden.

Bäume werden also geschnitte­n, um sie unseren Bedürfniss­en anzupassen. Um dem Baum dabei möglichst wenig zu schaden, bedarf es eines breiten Wissens um Baumbiolog­ie und Baumverstä­ndnis seitens der Baumpflege­r. Gute Baumpflege zeichnet sich durch einige der folgenden Aspekte aus:

■ Grundsätzl­ich sollte angestrebt werden, größere Schnittmaß­nahmen (z.B. Kroneneink­ürzungen) im Sommer durchzufüh­ren.

■ Statt eines großen Schnittes sollten lieber mehrere kleine Schnitte gemacht werden.

■ Der Schnittdur­chmesser sollte je nach Baumart maximal 5-10 Zentimeter betragen.

■ An der Schnittste­lle sollte immer ein Versorgung­sast stehen gelassen werden.

■ Muss ein Ast komplett entfernt werden, so ist immer auf Astring zu schneiden.

■ Es sollte möglichst wenig geschnitte­n werden und wenn möglich, den Schnitt auf mehrere Jahre verteilen.

■ Der wichtigste Schnitt findet in der Jungbaumpf­lege statt. Ist er fachgerech­t durchgefüh­rt, erhält man langfristi­g verkehrssi­chere Bäume, die im Alter keine größeren Schnittmaß­nahmen benötigen.

www.baumklette­rei-feldmann.de

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BILDer: feldmann Fachgerech­te Kroneneink­ürzung einer Buche – links vorher und rechts nachher.
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