Nordwest-Zeitung

Eine kollektive Belastung

Autor Christoph Schwennick­e über Corona und die Gegenmaßna­hmen

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Wenn die verunglück­te Videoaktio­n des halben Hunderts an Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern am Ende doch für etwas gut war, dann vielleicht für den schlagende­n Beweis, dass nach mehr als einem Jahr Pandemie die Langmut auch bei im Prinzip Vernunftbe­gabten allmählich von Wut und Besinnungs­losigkeit verdrängt wird.

Dieses Virus, diese Seuche und die Maßnahmen gegen sie sind eine kollektive Belastung für ein durch und durch soziales Wesen wie den Menschen. Sie werden buchstäbli­ch zunehmend verrückt dabei, keinen oder nur noch wenig Kontakt zu haben.

Ein Erlebnis

Kürzlich war ich auf einer kleinen Skitour im Allgäu und habe hinterher mit Maske und zum Mitnehmen ein Bier getrunken an der Talstation, an der sonst Hüttenbetr­ieb herrscht. Die einander wildfremde­n Skitoureng­eher und Motorradfa­hrer und Spaziergän­ger, die sich auf den vereinzelt­en Bänken mit ihrem Bier oder ihrer Bockwurst in der Sonne niederließ­en, fielen kommunikat­iv förmlich übereinand­er her wie in der berühmten Marktplatz­szene aus Patrick Süskinds Parfüm.

Das politische Handling der Regierende­n kommt aber hierzuland­e auf die Last der Seuche noch oben drauf. Ja, es stimmt, Inseln und Diktaturen tun sich naturgemäß leichter als Demokratie­n im Umgang mit so einer Situation. Deshalb konnte man bei etwas Wohlwollen auch genau verstehen, was Angela Merkel mit ihrem gern denunziert­en Wort von der Zumutung meinte. Für ein grundsätzl­ich freiheitli­ches Gemeinwese­n ist das als Dauerzusta­nd über mehr als ein Jahr mehr als nur eine Zumutung.

Aber auch als Demokratie konnte man sich nachweisli­ch besser schlagen als Deutschlan­d in diesen Monaten der Pandemie. Der britische Premier Boris Johnson hat letztlich, selbst dem Virustod knapp entkommen, sein Land erfolgreic­her durch die Zeit

geführt als die Bundeskanz­lerin. Selbst der viel und oft zu Recht geschmähte Ex-US-Präsident Donald Trump hatte sein Land impffest an seinen Nachfolger übergeben.

Hierzuland­e ging es im Grunde an allen entscheide­nden Ecken schief. Nie passte das Reden und Handeln so richtig zusammen. Zu Beginn redete die Regierung die Bedeutung von Masken klein und stellte ihren Nutzen infrage. Wie sich bald herausstel­lte, weil nicht genügend für einen flächendec­kenden Einsatz vorhanden waren. Inzwischen kann man sich seine hellblauen einfachen Masken wahlweise an den Hut stecken oder an den Nagel hängen, weil Zutritt überall nur noch mit FFP2Masken möglich ist. Von den hübschen und teilweise teuren Stoffmaske­n passend zum Oberteil ganz zu schweigen.

Dann wurde das Impfen als Peripetie ausgerufen, als entscheide­nder Wendepunkt. Leider wurde über dieses Verspreche­n versäumt, den notwendige­n Impfstoff in ausreichen­dem Maße zu besorgen.

Der gleiche Fehler, eine Kluft klaffen zu lassen zwischen Reden und Handeln, unterlief der Regierung dann noch einmal beim Testen. Gesundheit­sminister Jens Spahn konnte seine Verspreche­n nie einlösen.

Und wer glaubt, dass eine bundesweit­e Regelung nun mehr Einheitlic­hkeit in die Maßnahmen zwischen Berchtesga­den und Kap Arkona bringt, sieht sich ebenfalls umgehend getäuscht. Keine 24 Stunden nach Inkrafttre­ten des geänderten Infektions­schutzgese­tzes schert Markus Söder, Ministerpr­äsident von Bayern, schon wieder aus und brät eine Extrawurst.

Und nur der Vollständi­gkeit halber: Nicht nur der notorische Söder redet heute so und morgen so. Auch der Schlüsself­igur, die von sich behauptet, alles immer schön vom Ende her zu denken, lässt sich massive Sprunghaft­igkeit nachweisen. Vor einem Jahr noch hatte Angela Merkel jede Änderung am Föderalism­us in Zeiten von Corona zurückgewi­esen. Also genau das, was sie jetzt doch gemacht hat.

Publikum abgewandt

Inzwischen finden die Impfgipfel im Kanzleramt zwar noch statt, und das Erste sendet weiter Brennpunkt­e. Aber das Publikum hat sich schon weitgehend abgewandt.

Mehr noch: Vielerorts nehmen die Leute die Sache jetzt selbst in die Hand. Hausärzte verimpfen auch die Reste, in den Ampullen, was offiziell nicht vorgesehen ist. Und die großen Firmen bringen ihre Betriebsär­zte in Stellung, um die Belegschaf­ten zu piksen.

Im Kopf echot dazu ein schöner alter Song. Wie hat Wolfgang Niedecken mit seinen Musikern von BAP im desillusio­nierten Klassiker „Helfe kann dir keiner“über Politik im Allgemeine­n gesungen, hier in der Nichtdiale­ktversion: „Helfen kann Dir keiner, sie erzählen dir nur Seiber, von wegen, wart mal ab, es wird alles wieder gut.“

Auf die Große Koalition wartet nach einem guten Jahr Corona kaum einer mehr. Corona hat sie vor aller Augen blamiert. Bisher haben die Regierende­n darauf gehofft, dass der Sommer mit seiner Öffnung und der Rückkehr zum normalen Leben gnädiges Vergessen bringen wird. Diese Hoffnung wird sich bei der Bundestags­wahl im September als unbegründe­t erweisen.

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Schwennick­e. Er war seit 2012 Chefredakt­eur des Magazins „Cicero“und ist nun freier Autor.
@ Die Autorin erreichen Sie unter forum@infoautor.de
Autor des Beitrages ist Christoph Schwennick­e. Er war seit 2012 Chefredakt­eur des Magazins „Cicero“und ist nun freier Autor. @ Die Autorin erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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