Musiker empfinden erste Probe wie eine Befreiung
Aufnahmen des Staatsorchesters für Festakt in Oldenburg – Interview mit Flötist Burkhard Wild
Das Oldenburgische Staatstheater bereitet die Feier zum 175-jährigen Bestehen des Deutschen Bühnenvereins am 27. Mai im Großen Haus vor. Erstmals hat dafür das Staatsorchester wieder in voller Besetzung geprobt und die „Festliche Ouvertüre“op. 96 von Dmitri Schostakowitsch aufgenommen. Flötist Burkhard Wild (63) schildert, wie die 70 Musikerinnen und Musiker das erste Tutti-Spiel seit über einem Jahr erlebt haben.
Man sagt gern flapsig: Man macht allerhand mit, bis man Rente bekommt. Sie sind das dienstälteste Mitglied des Staatsorchesters, seit 1983 im Einsatz. Aber haben Sie so etwas schon mitgemacht, eine Pause von über einem Jahr? Wild: Selbst in fast 38 Jahren erlebt man so was nicht. Der Einschnitt ist brutal, gerade emotional. Wenn ich sehe, wie privilegiert der Profifußball in seinen Freiheiten ist, da muss ich schon schlucken.
Wie war die Stimmung zur ersten Probe mit allen Instrumentalisten?
Wild: Es war eine Art Befreiung. Alle sind konzentriert, motiviert und fröhlich ans Werk gegangen. Nach so langer Zeit hat es viel Spaß gemacht, wieder gemeinsam musizieren zu können.
Oliver Kersken, der Orchesterdirektor, hat resümiert: Das Orchester in voller Besetzung hat im März 2020 mit der „Symphonie fantastique“von Berlioz in Hochform aufgehört – und 13 Monate später tauchte es nach einer halben Stunde schon in sehr guter Form wieder auf…
Wild: Wir saßen alle weiter auseinander als gewohnt. Sich an die heiklen Abstände im Zusammenspiel zu gewöhnen, das machte tatsächlich die erste halbe Stunde aus. Zwischen Konzertmeister und kleiner Trommel liegen da schon mal 15 Meter.
Wie haben Sie über den langen Zeitraum versucht, Ihr Niveau zu halten?
Wild: Es ist eine Frage der Selbstdisziplin. Da hat jeder von uns seinen Weg gefunden, vom häuslichen Üben bis hin zur Probe in Kleinstbesetzung im Probensaal. Selbstverständlich ist es viel motivierender, endlich wieder in voller Besetzung spielen zu dürfen. Dadurch haben wir es unserem GMD Hendrik Vestmann als Dirigent leicht gemacht.
Bei aller spontanen Freude, was ist schon verloren gegangen und kommt vielleicht auch nicht wieder?
Wild: Es entstehen große Lücken in der musikalischen Ausbildung von Jugendlichen, von der Hinführung zum Instrument über den intensiven Unterricht bis zum Ensemblespiel. Darunter leiden auch die Strukturen wie Jugendorchester, Chöre und andere. Ohne die Erkenntnis, dass Musikkultur der Gesellschaft mehr bietet als reine Unterhaltung, ist zu befürchten, dass in den zukünftigen Diskussionen ums Sparen die in der Welt einmalig reiche deutsche Orchestervielfalt ins
Visier gerät.
Wenn es nur noch darum geht, nicht zurückzufallen, darf man da noch daran denken, dass in Oldenburg immer noch die Sehnsucht nach einem modernen Konzertsaal mit lebendigem Klang schlummert?
In Nürnberg sind die Neubaupläne gerade abgeblasen worden.
Wild: Die Akustik ist in der Weser-Ems-Halle etwas besser als im Großen Haus, dessen enges Bühnenportal und die neobarocke Architektur viel Klang schlucken. Wenn von uns jemand zur Aushilfe etwa in der Bremer Glocke oder der Hamburger Laeiszhalle mitwirkt, wird uns das drastisch bewusst. Die Elbphilharmonie etwa ist auf einer alten Lagerhalle gebaut. Warum sollte man in Oldenburg nicht auch mutige und ungewöhnliche Entwürfe wagen? Es wäre doch schön, wenn ich das Staatsorchester eines Tages in der Huntephilharmonie hören könnte.
Es wäre doch schön, wenn ich das Staatsorchester mal in der Huntephilharmonie hören könnte.
Burkhard Wild Flötist