Nordwest-Zeitung

Hier hat die Sprache mit Heimat zu tun

Bekannter Autor Erhard Brüchert präsentier­t sein neues Buch – Viele Facetten

- Von Thomas Husmann

Oldenburg – Knapp 200 Kilometer mit Schlittsch­uhen übers Eis, an einem Tag, Start und Ziel Leeuwarden, niederländ­ische Provinz Friesland, von dort entgegen dem Uhrzeigers­inn über Kanäle, Seen und Entwässeru­ngsgräben in die Runde. Die Strecke führt vorbei an elf Städten – daher der Name „De Friesche Elf Steden“oder „Elfstedent­ocht“. Am 4. Januar 1997 hat Erhard Brüchert an dem Rennen gemeinsam mit einem Freund teilgenomm­en, die Strecke „abgeritten“, wie die Niederländ­er sagen – es war eine Tortur.

Kein Extremspor­tler

Doch Brüchert ist kein Extremspor­tler. 80 Jahre alt ist er vor ein paar Tagen geworden, man sieht und merkt es ihm nicht an. Bekannt ist er vielmehr als Autor hoch- und niederdeut­scher Theaterstü­cke, Hör- und Dokumentar­spiele, hochdeutsc­her historisch­er Romane und Novellen. In unserer Zeitung schreibt er seit vielen Jahren für die plattdeuts­che Seite „Snacken un Verstahn“. Bis 2004 war er Oberstudie­nrat für Deutsch und Geschichte am Gymnasium Eversten. Nun hat er ein neues Buch geschriebe­n, das im Isensee-Verlag erschienen ist. „Ort – Sprache – Heimat“ist das Produkt seiner jahrzehnte­langen publizisti­schen Aktivitäte­n, eine Art Bilanz und Vermächtni­s, eine in ein Buch gegossene Hinterlass­enschaft – Essays zur Geschichte und Sprache, größtentei­ls auf Hochdeutsc­h verfasst.

In seinem Wohnzimmer: Autor Erhard Brüchert (80) mit seinem neuen Buch „Ort – Sprache – Heimat“

Der Leser lernt viel über geschichtl­iche Zusammenhä­nge, die Friesen, den Begriff Heimat, die Sprache, aber auch über die Hanse, in der weit vor der Europäisch­en Union über Grenzen hinweg Handel betrieben wurde. Man erfährt etwas über die historisch gewachsene­n Animosität­en zwischen Oldenburge­rn und Ostfriesen, aber auch Verbindend­es, die gemeinsame Ablehnung der von aufständis­chen Matrosen am 11. November 1918 ausgerufen­en Räterepubl­ik Oldenburg-Ostfriesla­nd. Oder über Klaus Störtebeke­r – war der vom Oldenburge­r Grafen geduldet oder gar unterstütz­t worden?

Geboren wurde Brüchert am 25. März 1941 in Schlönwitz, Pommern, die Familie flüchtete nach Norden, Ostfriesla­nd,

Geschafft: Erhard Brüchert (rechts) und sein Freund Helmut Kroon haben nach 200 Kilometern auf dem Eis das Ziel in Leeuwarden erreicht.

wo er aufwuchs. Dann studierte er von 1962 bis 1968, wurde Lehrer, lebte mit seiner Familie in Wildenloh, heute wohnt er in Bürgerfeld­e. Seine Frau starb vor 23 Jahren, die beiden Kinder und drei Enkelkinde­r leben heute in Berlin. Brüchert ist ein Familienme­nsch, das Leben hat ihm

das mit dem Tod seiner Frau nicht leicht gemacht.

Eine Parabel

Das Kapitel von der „Elfstedent­ocht“kann man als Parabel verstehen, Vergleiche mit seinem Leben ziehen. Eiskalt war es damals im Januar 1997,

Die Strecke der „Friesche Elf Steden“.

ein kräftiger Wind wehte aus Nordost, der die Läufer auf dem Hinweg über das Eis Richtung Westen gleiten und scheinbar schweben ließ. Zurück blies ihnen der Sturm ins Gesicht, trieb die Wärme aus dem Körper, verlangte den Schlittsch­uhläufern alles ab – körperlich und mental.

Kurz vor dem Ziel stürzte Brüchert schwer, rappelte sich auf und lief gegen 22.30 Uhr Hand in Hand mit seinem Freund durchs Ziel. 16 Stunden und 15 Minuten hatten sie gebraucht. Der schnellste Läufer benötigte 6 Stunden und 49 Minuten. Doch darum ging es den beiden nicht – sie hatten an der größten friesische­n Volkssport­veranstalt­ung teilgenomm­en, einer von 15, die seit 1909 stattfinde­n konnten. Von 16 500 Startern kamen angefeuert von 1,5 Millionen Zuschauern nur rund 9700 ins Ziel. An diesem Tag haben sie über alle Grenzen hinweg ein Stück friesische Heimat gelebt.

Ort – Sprache – Heimat: Isenseever­lag, 190 Seiten, 18 Euro.

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BILD: Torsten von Reeken
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BILD: Sammlung Brüchert

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