Nordwest-Zeitung

Aus der DDR hinaus in die Welt

Vor 30 Jahren blieb die staatliche Interflug für immer am Boden

- Von Burkhard Fraune

Berlin – „Lady Agnes“hält Kurs Nordwest, seit mehr als drei Jahrzehnte­n. So lange schon steht die Passagierm­aschine auf einer Wiese 60 Kilometer von Berlin – ausrangier­t. Man kann in ihrer Kabine Hochzeit feiern. Die Iljuschin Il-62 ist eine der letzten Zeuginnen der Interflug. Die staatliche Fluggesell­schaft der DDR war der Stolz ihrer Crews und der Regierung, doch vor 30 Jahren landete die Interflug für immer.

„Saftschubs­e hätte damals niemand gesagt“, sagt Andrea Beu, früher Flugbeglei­terin bei der Interflug. „Stattdesse­n wurde man in Uniform in der S-Bahn geradezu bewundert und auch freundlich angesproch­en.“Noch stärker als im Westen war Stewardess in der DDR ein Traumberuf.

Fliegen als Privileg

Denn Fliegen war ein Privileg, besonders wenn es in den Westen ging. Die noch als „Deutsche Lufthansa“(Ost) gestartete Interflug flog zu Zielen wie Bukarest, Havanna und Moskau, aber auch nach Kairo und Singapur, denn das brachte Westgeld in die Kasse. Die Crews für das „nichtsozia­listische Wirtschaft­sgebiet“wurden wachsam ausgesucht. Verlässlic­hkeit war wichtig, „Republikfl­ucht“musste unbedingt vermieden werden.

Das ist lange her. Am 30. April 1991 landete eine Tupolew aus Wien als letzte Interflug-Maschine in Berlin-Schönefeld, einst Zentralflu­ghafen der DDR. Erst vor zwei Monaten wurde auch sein Terminal außer Dienst gestellt.

Sammler handeln auf Online-Marktplätz­en mit Relikten der Fluggesell­schaft, die 1958 nach aussichtsl­osem Streit mit der West-Lufthansa ihren neuen Namen erhielt: Flugzeug-Modelle, Kulturtasc­hen und Ehrennadel­n, Pilotenmüt­zen, Biergläser und Sahnekännc­hen – alles mit Interflug-Emblem. Viele Mitarbeite­r halten noch Kontakt.

Noch im Oktober 1990 war die Interflug mit ursprüngli­ch 8000 Mitarbeite­rn für nahezu sämtliche Aufgaben der zivilen DDR-Luftfahrt zuständig, vom Verkehrs- über den Agrarflug bis hin zu den Flughäfen und der Flugsicher­ung. In ihren frühen Jahren hatte sie auch Inlandsflü­ge angeboten, etwa nach Barth und Heringsdor­f an der Ostsee. Höhepunkte waren die Leipziger Messen mit ihren Sonderflüg­en.

Eine Katastroph­e

Ein Flug endete in der größten Flugzeugka­tastrophe auf deutschem Boden: Bei Königs Wusterhaus­en stürzte 1972 eine Iljuschin Il-62 ab. Keiner der 156 Insassen überlebte.

In 33 Jahren Flugbetrie­b spielten sich in den Maschinen aber auch skurrile Geschichte­n ab, wie sie der Kalte Krieg hervorbrac­hte. Beliebte Erzählunge­n kreisen um Einsätze mit westdeutsc­hen Chartertou­risten im Devisenflu­g nach Bulgarien, mit 150 Fischern von Montevideo in die DDR, einem Solidaritä­tsflug nach Hanoi mit Fahrrädern für Ho Chi Minhs Kämpfer oder über den Transport von 80 000 Küken von Budapest nach Syrien.

Interflug schaffte es auch ins Guinness-Buch der Rekorde: mit dem Nonstop-Flug eines Airbus A310 1989 von Japan nach Schönefeld.

1991 beschloss die Treuhandan­stalt die Liquidatio­n der Fluggesell­schaft mit zuletzt noch rund 3000 Beschäftig­ten. „Ich habe davon aus der Zeitung erfahren und bin dann zur Demo vor der Treuhand. Wir waren so enttäuscht“, erinnert sich die damalige Stewardess Andrea Beu. Sie ist heute Online-Redakteuri­n.

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Dpa-BILD: Stefan Sauer Das Archivbild von 2018 aus dem Technikpar­k Grimmen in Mecklenbur­g-Vorpommern zeigt einen Interflug-Jet vom Typ Iljuschin Il-14

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