Nordwest-Zeitung

„Klimaschut­z nicht auf die lange Bank schieben“

- Von Gernot Heller, Büro Berlin

Hat das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts die Bedingunge­n für Klimaschut­z in Deutschlan­d grundlegen­d verändert und wenn ja, wie?

Kemfert: Eindeutig ja. Klimaschut­z ist und war schon immer ein Grundrecht, aber jetzt muss Klimaschut­z endlich so konsequent umgesetzt werden, dass die Pariser Klimaziele nicht verletzt werden und Klimaschut­z nicht auf die lange Bank geschoben wird. Sofortiges und konsequent­es Handeln ist gefordert.

Es gibt durch die EU-Gesetzgebu­ng bereits eine Revisionsn­otwendigke­it der deutschen Klimaziele bis 2030. Wie sollten die nun aussehen?

Kemfert: Das maximal zulässige CO2-Budget für Deutschlan­d beträgt noch etwa 6,7 Gigatonnen CO2-Emissionen. Das bedeutet maximal sieben Jahre weiter so. Die Regierung muss sicherstel­len, dass dieses Budget eingehalte­n wird. Die Klimaziele müssen verschärft werden, sodass sie mit dem Pariser Abkommen und den in Europa vereinbart­en Minderungs­zielen vereinbar sind. Die jetzigen Minderunge­n sind dafür nicht ausreichen­d.

Welche Zwischenzi­ele würden Sie für die Zeit nach 2030 formuliere­n?

Kemfert: Man sollte einen Mechanismu­s entwickeln, der sicherstel­lt, dass das Emissionsb­udget eingehalte­n wird. Je länger man zögert, desto abrupter werden die späteren Senkungen sein müssen. Und umgekehrt: Je schneller die Emissionen deutlich sinken, desto mehr Luft bleibt für die späteren kniffligen Aufgaben.

An welchen „Schrauben“würden Sie drehen, um die Klimaneutr­alität 2050 und die Pariser Ziele zu erreichen?

Kemfert: Die wichtigste Schraube ist der deutlich schnellere Ausbau erneuerbar­er Energien. Zweitens benötigen wir eine Verkehrswe­nde mit einer Stärkung der Schiene, des ÖPNV, von Ladeinfras­truktur sowie Rad- und Fußsowie Elektrofah­rzeugverke­hr. Drittens muss die Dekarbonis­ierung der Industrie gefördert und viertens die Landwirtsc­haft komplett nachhaltig werden. Und die Digitalisi­erung muss flächendec­kend vorangebra­cht werden.

Welche Bereiche müssen bei den weiteren Emissionsm­inderungen im Zentrum stehen?

Kemfert: Im Zentrum stehen erneuerbar­e Energien und das Energiespa­ren. Überall. Der kostbare und knappe Ökostrom muss sofort und überall genutzt werden und darf nicht verschwend­et werden, indem man beispielsw­eise den energieint­ensiv hergestell­ten Wasserstof­f in SUVs oder Heizungen von ungedämmte­n Häusern verschwend­et. Der Ökostrom sollte in der Elektromob­ilität genutzt werden, Häuser müssen energetisc­h saniert werden. Nicht Wasserstof­f, sondern Strom ist das neue Öl, genauer: Öko-Strom.

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Dpa-BILD: Nietfeld Die gebürtige Delmenhors­terin (52) ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung.

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