Impfungen bringen Hausärzte an Belastungsgrenze
Lange Wartelisten und viel Verwaltung – „Alle Möglichkeiten zur Impfung nutzen, die es gibt“
Wie laufen die Impfungen in den Hausarztpraxen?
Prof. Dr. Michael Freitag: Die überwiegende Zahl der Hausärzte ist mit großem Engagement dabei. Sowohl bei den Praxisteams als auch bei den Impflingen ist die Freude spürbar, dass es im Kampf gegen die Pandemie voran geht; wir machen das gerne. Allerdings ist die Belastung für uns enorm.
Worin besteht die? Freitag: Unsere Praxis zum Beispiel hat die Impfungen auf mittwochs gelegt. Vergangene Woche haben wir etwa 100 Personen geimpft; die müssen alle angerufen und einbestellt werden. Dann gibt es einen großen Dokumentationsaufwand. Zu Beginn der Impfunmehr gen hat sich eine Mitarbeiterin die ganze Woche ausschließlich um die Impf-Organisation gekümmert. Noch jetzt arbeiten Mitarbeiterinnen am Mittwochmorgen schon ab halb sechs, bis alles vorbereitet ist, und am donnerstagabends länger, um die Folgewoche vorzubereiten. Die Vergütung von 20 Euro pro Impfung durch die Krankenkasse deckt bei Weitem nicht die tatsächlichen Kosten.
Bekommen alle Patienten, die sich melden, einen Termin? Freitag: So weit sind wir leider noch nicht. Etwa 600 Personen stehen aktuell auf der Liste; wir konnten zwischendurch keine Anmeldungen
annehmen. Bislang haben wir alle Impfdosen, die wir bekommen konnten, genommen und verimpft. Jetzt steigt die Menge aber so stark, dass wir räumlich und personell die Kapazitätsgrenze bald erreichen. Schließlich muss jeder Impfling nach der Impfung eine Viertelstunde lang wegen möglicher Impfreaktionen in der Praxis warten – und das, ohne die Abstandsregeln zu missachten.
Ist die Impfung gut organisiert? Freitag: Im Prinzip ja. Für mich unverständlich und zum Teil mit Ärger verbunden sind die Anschreiben der Krankenkassen an einzelne Personen mit oder ohne relevante Vorerkrankungen. Sie werden darüber informiert, dass sie in der Priorisierung eventuell vorgezogen werden können.
Wir Ärzte sollen das prüfen und bescheinigen. Zum Teil haben Impfwillige aufgrund des Schreibens eine Erwartungshaltung, die wir nicht erfüllen können. Das ist nicht immer leicht. Ähnlich ist es mit Bescheinigungen für Lehrpersonal, das aufgrund des Gesundheitszustandes vom schulischen Präsenzunterricht befreit werden möchte. Die Kriterien für eine Abgrenzung sind nicht eindeutig. Wir Ärzte kommen bei der Abwägung immer wieder in Konflikte.
Was halten Sie von der Forderung, Impfzentren zu schließen und nur Ärzte zu beauftragen? Freitag: Das ist für mich nicht plausibel. Solange nicht mehr Menschen einen Impfschutz haben, ist es sinnvoll, alle Möglichkeiten zur Impfung zu nutzen, die es gibt.