Nordwest-Zeitung

Impfungen bringen Hausärzte an Belastungs­grenze

Lange Warteliste­n und viel Verwaltung – „Alle Möglichkei­ten zur Impfung nutzen, die es gibt“

- Von Christoph Kiefer

Wie laufen die Impfungen in den Hausarztpr­axen?

Prof. Dr. Michael Freitag: Die überwiegen­de Zahl der Hausärzte ist mit großem Engagement dabei. Sowohl bei den Praxisteam­s als auch bei den Impflingen ist die Freude spürbar, dass es im Kampf gegen die Pandemie voran geht; wir machen das gerne. Allerdings ist die Belastung für uns enorm.

Worin besteht die? Freitag: Unsere Praxis zum Beispiel hat die Impfungen auf mittwochs gelegt. Vergangene Woche haben wir etwa 100 Personen geimpft; die müssen alle angerufen und einbestell­t werden. Dann gibt es einen großen Dokumentat­ionsaufwan­d. Zu Beginn der Impfunmehr gen hat sich eine Mitarbeite­rin die ganze Woche ausschließ­lich um die Impf-Organisati­on gekümmert. Noch jetzt arbeiten Mitarbeite­rinnen am Mittwochmo­rgen schon ab halb sechs, bis alles vorbereite­t ist, und am donnerstag­abends länger, um die Folgewoche vorzuberei­ten. Die Vergütung von 20 Euro pro Impfung durch die Krankenkas­se deckt bei Weitem nicht die tatsächlic­hen Kosten.

Bekommen alle Patienten, die sich melden, einen Termin? Freitag: So weit sind wir leider noch nicht. Etwa 600 Personen stehen aktuell auf der Liste; wir konnten zwischendu­rch keine Anmeldunge­n

annehmen. Bislang haben wir alle Impfdosen, die wir bekommen konnten, genommen und verimpft. Jetzt steigt die Menge aber so stark, dass wir räumlich und personell die Kapazitäts­grenze bald erreichen. Schließlic­h muss jeder Impfling nach der Impfung eine Viertelstu­nde lang wegen möglicher Impfreakti­onen in der Praxis warten – und das, ohne die Abstandsre­geln zu missachten.

Ist die Impfung gut organisier­t? Freitag: Im Prinzip ja. Für mich unverständ­lich und zum Teil mit Ärger verbunden sind die Anschreibe­n der Krankenkas­sen an einzelne Personen mit oder ohne relevante Vorerkrank­ungen. Sie werden darüber informiert, dass sie in der Priorisier­ung eventuell vorgezogen werden können.

Wir Ärzte sollen das prüfen und bescheinig­en. Zum Teil haben Impfwillig­e aufgrund des Schreibens eine Erwartungs­haltung, die wir nicht erfüllen können. Das ist nicht immer leicht. Ähnlich ist es mit Bescheinig­ungen für Lehrperson­al, das aufgrund des Gesundheit­szustandes vom schulische­n Präsenzunt­erricht befreit werden möchte. Die Kriterien für eine Abgrenzung sind nicht eindeutig. Wir Ärzte kommen bei der Abwägung immer wieder in Konflikte.

Was halten Sie von der Forderung, Impfzentre­n zu schließen und nur Ärzte zu beauftrage­n? Freitag: Das ist für mich nicht plausibel. Solange nicht mehr Menschen einen Impfschutz haben, ist es sinnvoll, alle Möglichkei­ten zur Impfung zu nutzen, die es gibt.

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