Nordwest-Zeitung

Die Antisemite­n sind unter uns

- Von Alexander Will

as deutsche Volk besitzt zwei Leidenscha­ften: das Bier und den Antisemiti­smus.“Das schrieb Kurt Tucholsky vor genau 100 Jahren. Die Zeiten haben sich geändert, Antisemiti­smus aber ist in Deutschlan­d noch immer nicht ausgerotte­t. Im Gegenteil. Wir können getrost von einer dreifachen Verwurzelu­ng sprechen.

Da sind zum einen die nationalso­zialistisc­hen Überbleibs­el. Da wird in dunklen und weniger dunklen Winkeln noch immer ein potenziell eliminator­ischer Antisemiti­smus gepflegt. Es kursieren die altbekannt­en Verschwöru­ngstheorie­n, und es treibt der Geschichts­revisionis­mus Blüten. Zugeschlag­en wird in solchen Kreisen auch gern. Denkmalsch­ändung wie jüngst in Oldenburg ist ihnen nicht fremd.

Zum anderen gibt es einen importiert­en Antisemiti­smus, dessen Träger von Potentaten und Mullahs verhetzte Einwandere­r aus dem arabischen und islamische­n Raum sind. Diese Spielart des Antisemiti­smus macht sich an Israel fest und rechtferti­gt sich als vermeintli­cher „Widerstand“gegen das „Gebilde“Israel.

Schließlic­h ist da ein Antisemiti­smus auf der Linken, der hier unmittelba­r andockt. Er richtet sich gegen das „koloniale Projekt“Israel und hat seine Wurzeln in den 60er Jahren.

Heute hat diese so abstoßende wie mörderisch­e Ideologie im Staatsappa­rat keinen Rückhalt mehr. Gott sei Dank! Freilich ist es trotzdem ein historisch­es Versagen dieses Staates, dass heute ein Mensch, der sich durch eine Kette um den Hals oder eine Kippa auf dem Kopf zum Judentum bekennt, nicht unbelästig­t bleibt, sondern gefährlich lebt. Da ändern auch sentimenta­le Lippenbeke­nntnisse nichts.

@ Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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