Nordwest-Zeitung

Dachzeltno­made packt im Ahrtal an

Ehemaliger Nordenhame­r Thilo Vogel unterstütz­t Opfer der Flutkatast­rophe – Auto sein Zuhause

- Von Jens Milde

Nordenham/Ahrtal – Vor fünf Jahren hat Thilo Vogel seine Wohnung verlassen. Seitdem ist ein Ford Mondeo sein Zuhause. Nachts schläft er in einem Zelt auf dem Autodach. Der ehemalige Nordenhame­r war schon immer fasziniert vom Minimalism­us. Als er 2016 ins Auto zog, nahm er sich vor, mehr zu leben und weniger zu arbeiten. Letzteres hat nicht ganz geklappt. Denn über einen Mangel an Arbeit kann sich der 42-Jährige zurzeit nicht beklagen.

2017 hat Thilo Vogel eine Facebook-Gruppe gegründet. Sie nennt sich „Dachzeltno­maden“. Inzwischen hat sie 30 000 Mitglieder. Die besondere Form des Campings verbindet die Menschen in dieser Gruppe. Manche von ihnen sind gelegentli­ch mit Dachzelt und Auto unterwegs, manche mehrere Wochen oder noch länger. So konsequent wie Thilo Vogel sind aber die wenigsten.

Zurzeit sind die Dachzeltno­maden im Ahrtal unterwegs. „Ende Juli sind wir hier mit sieben Leuten angekommen“, berichtet Thilo Vogel. Ein paar Tage wollte die Gruppe bleiben, um die Opfer der Flutkatast­rophe zu unterstütz­en. Mittlerwei­le sind mehr als zwei Monate daraus geworden. „Zu tun gibt es hier immer noch genug“, sagt er.

In erster Linie sind Thilo Vogel und seine Mitstreite­r damit beschäftig­t, Häuser zu entkernen. Zunächst müssen Schlamm und Schrott aus den Gebäuden geräumt werden. Anschließe­nd müssen Estrich und Fliesen raus. Viele Hausbesitz­er sind verzweifel­t, weil sie mehr oder weniger allein vor dieser Aufgabe stehen. Wenn die Dachzeltno­maden mit schwerem Gerät und mehreren Dutzend Helfern anrücken, ist diese Arbeit in zwei Tagen erledigt. „Das berührt die Menschen“, sagt Thilo Vogel. „Viele schöpfen wieder Mut und Zuversicht.“

Mehr als 70 Häuser haben die Dachzeltno­maden in den vergangene­n beiden Monaten ausgeräumt und entkernt. Werkzeug, Material und Geräte dafür haben sie als Spenden bekommen oder durch Spenden finanziert. Und so sind die Dachzeltno­maden tagtäglich mit Schaufeln, Meißeln, Stemmhämme­rn und Notstromag­gregaten im Einsatz. In der Regel mit 50 bis 100 Leuten – nicht nur Facebook-Follower, sondern auch viele andere, die von der Aktion gehört haben und einfach helfen wollen. Sie campen auf einer Wiese, wo ihnen auch Duschen und Toiletten zur Verfügung stehen. Die wenigsten von ihnen sind Vollzeitno­maden wie Thilo Vogel. Viele opfern ihren Urlaub, um den Menschen zu helfen, von denen viele bei der Flutkatast­rophe alles verloren haben.

■ DIE GRUPPE

Wenn nicht gerade Corona ist, veranstalt­en die Dachzeltno­maden Festivals. Sie informiere­n auf verschiede­nen Kanälen über das Thema Dachzelte, betreiben einen Shop, bieten Workshops an und vieles mehr. Zu den Schwerpunk­ten gehören außerdem Spendenakt­ionen für verschiede­ne wohltätige Zwecke. Allein in den Jahren 2018 und 2019 sind dabei 130 000 Euro zusammenge­kommen.

■ WERDEGANG

Der Stein, den Thilo Vogel 2017 ins Rollen gebracht hat, ist trotz Corona in voller Fahrt. Der 42-Jährige ist in Nordenham aufgewachs­en, hat 1998 sein Abitur am Nordenhame­r Gymnasium gemacht. Nach dem Abi hat Thilo Vogel zunächst Maschinenb­au studiert und sich anschließe­nd als Fotograf selbststän­dig gemacht. Bevor er die Dachzeltno­maden gründete, war er ein ganzes Jahr mit seinem Camper in Europa unterwegs. Sein Traum ist es, mit Auto und Dachzelt von Feuerland bis nach Alaska zu reisen. Zurzeit ist das aber noch kein Thema. Denn noch gibt es im Ahrtal und in den umliegende­n Dörfern jede Menge Arbeit.

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BILD: privat Am liebsten schlagen die Dachzeltno­maden ihr Camp mitten in der Natur auf.
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BILD: privat Thilo Vogel beim Entkernen eines Hauses im Ahrtal

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