Absurdes Spektakel für echte Liebhaber
Cannes-Gewinner startet in deutschen Kinos – Zwei starke Hauptrollen und eine Botschaft
Oldenburg – Was eine Titanplatte im Kopf alles anstellen kann: In dem Film „Titane“geht es äußerst absurd zur Sache. Der diesjährige CannesGewinner wird sicherlich einige Kinobesucher enttäuschen, vielleicht sogar verstören. Doch für Filmliebhaber und Zuschauer mit mehr Risikobereitschaft, ist es ein sehr sehenswerter Film, der sich als kleine französische Filmperle entpuppt.
Autounfall als Kind
Ganz grob dreht sich der Film um die junge Tänzerin Alexia (Agathe Rousselle), die sich in Show-Events spärlich bekleidet auf Autos räkelt. Seit einem Autounfall in ihrer Kindheit trägt sie eine Titanplatte im Kopf. Und gerade dieses Stück Titan versetzt sie in einen Rausch. Immer, wenn sie Titan schmeckt oder fühlt, rutscht sie in eine mörderische Stimmung ab. Mehr sollte man erst einmal nicht verraten.
„Titane“wurde von Julia Ducournau inszeniert. Zuvor führte sie Regie im Film „Raw“, der einige Ähnlichkeiten mit dem Nachfolgewerk hat. In „Titane“ist die Ausgangslage deckungsgleich, nur noch viel absurder. Denn der CannesGewinner ist grausam, abstoßend, witzig, gefühlvoll, traurig, schockierend und sehr politisch zugleich. Und wie bereits an den vielen Attributen zu erkennen ist, lässt sich der Film sehr schwer einordnen. Selbst das Genre ist nicht klar zu bestimmen. Am ehesten trifft es ein Mix aus Horror/Drama/Romantik.
Einige Szenen stechen heraus. Zum Beispiel erfahren die Zuschauer, wie gefährlich ein Stuhlbein für den Menschen sein kann. Oder wie schwer es ist, sich die Nase zu brechen. Hier sind der Absurdität keine Grenzen gesetzt. Zumal einige Szenen brutal und auch witzig inszeniert werden. „Titane“kennt kein Tabu. Es gibt keine Grauzonen oder Erklärungen, warum die Hauptfigur Alexia so handelt.
Aber gerade, weil der Film so anders ist und sich konsequent gegen konventionelle Sehgewohnheiten des Kinos auflehnt, ist er gut. Denn obwohl die Story des Films total abgedreht ist, stehen die Figuren im Vordergrund. Und diese sind sehr interessant.
Ähnlich wie der „Joker“
Alexia ist kaum lesbar und in etwa so unberechenbar wie der „Joker“aus der BatmanReihe. Das macht vor allem in der ersten Filmhälfte jede Szene mit ihr unterhaltsam. Außerdem gab es solch eine Filmfigur wie Alexia im Kino noch nicht. Besonders die schauspielerische Leistung von Agathe Rousselle ist beeindruckend. Sie spielt die nicht durchschaubare Alexia mit einer ungemein starken Leinwandpräsenz, sodass viele Nebenfiguren eher blass erscheinen. Nicht jedoch ihr männliches Pendant: Vincent Lindon spielt den Feuerwehrmann Vincent großartig und intensiv. Auch bei ihm ist ein gewisses Maß an Absurdität vorhanden.
Zudem zeigt Regisseurin Julia Ducournau ihr Talent mit immer wieder verrückten Szenen, die aber im Kern zutiefst menschlich sind. Und gerade die letzten 15 Minuten des Films sind an Spannung kaum zu überbieten. Er schreit nach gesellschaftlicher Toleranz für jeden – egal, wie er ist. Bitte mehr davon!