Nordwest-Zeitung

„Israels Existenz gefährdet“

Michael Wolffsohn über Angela Merkel, schöne Worte und fatale Taten

- Von Gernot Heller, Büro Berlin

Angela Merkel besucht an diesem Wochenende letztmalig als deutsche Bundeskanz­lerin Israel. Zeit für eine Bilanz. Wie wichtig war Angela Merkel für das deutsch-israelisch­e Verhältnis?

Wolffsohn: Kanzler kommen und gehen. Merkel war eine Episode von vielen. Eindrucksv­oll wortreich, stand sie zu Israel. Zwei ihrer Taten aber gefährden – ungewollt, doch faktisch – Israel und Juden in der Welt.

Wo hat die Kanzlerin Spuren im Verhältnis zu Israel hinterlass­en?

Wolffsohn: Da sind wir bei den Kardinalfe­hlern eins und zwei. Beide passierten im Jahre 2015. Fehler 1: Die unkontroll­ierte Masseneinw­anderung. Ich sage unkontroll­iert und kritisiere nicht die Bereitscha­ft an sich, die Flüchtling­e vornehmlic­h aus der islamische­n Welt aufzunehme­n. Es gab Vorwarnung­en. Besonders aus Israel, dass mit den Flüchtling­en Terroriste­n eingeschle­ust würden. Bald darauf sahen wir, wie berechtigt die Warnungen waren und bleiben. Aus Furcht vor dem islamistis­chen Terror wird die deutsche Israel- und Nahostpoli­tik windelweic­h.

Siehe das permanent antiisrael­ische Abstimmung­sverhalten Deutschlan­ds in der UNO. Merkel führte dabei die deutsche Regie, unterstütz­t vom, ebenfalls nur mit Worten proisraeli­schen Außenminis­ter Maas. Die Merkel-Regierung hat – subjektiv ungewollt, doch objektiv – Israels Existenz gefährdet. Ohne Israel haben die Juden in der ganzen Welt keine Lebensvers­icherung mehr, keinen sicheren Hafen im Fall der Fälle. Ergo: Gefahr für Israel und alle Juden. Fehler 2 knüpft an Fehler 1 an: Das Atomabkomm­en mit dem Iran, das Sand in die Augen streute. Fröhlich expandiert der Iran seitdem konvention­ell militärisc­h und hat bald die Atombombe. Eine lebensbedr­ohliche Gefahr für Israel, Nahost insgesamt, auch Europa.

An welchen Stellen wurden aus der Sicht Israels die Weichen falsch gestellt? Wolffsohn: Ihre schönen Worte in der denkwürdig­en Rede vor der Knesset im März 2008 waren völlig undurchdac­ht. Darin sagte sie, ein Angriff auf Israel wäre einem Angriff auf Deutschlan­d gleichzuse­tzen. Mit Worten garantiert­e sie Israels Überleben. Kann das die unter der Bundeskanz­lerin Merkel herunterge­wirtschaft­ete Bundeswehr? Nein. Sie scheint mit ihrer Formulieru­ng zudem vergessen zu haben, dass damit auch Artikel 5 des Nato-Vertrages zum Bündnisfal­l berührt wäre. Durch ihre Wortwahl verpflicht­ete sie, ohne vorherige Absprache, also die NATO-Partner zu Israels Rettung im Fall der Fälle. Die werden sich bedanken. Allen voran Erdogans Türkei.

Das bedeutet: Leere Verspreche­n plus große NATO-Krise, sollte es hart auf hart kommen.

Wie wichtig war Kanzlerin Merkel für die Juden in Deutschlan­d?

Wolffsohn: Schöne Worte, schwache und schädliche Taten. Sie hat zudem zur dramatisch­en Schwächung der inneren Sicherheit­sdienste beigetrage­n. Die wiederum sollen nicht zuletzt Juden und jüdische Einrichtun­gen schützen. Ich verweise auf Halle. Nicht vergessen: Es gibt bislang auch keine Bundesmitt­el für die Sicherheit innerhalb jüdischer Einrichtun­gen, nur für den Außenschut­z. Das bedeutet: Von Sicherheit­spolitik versteht sie nichts oder will nichts verstehen. Dass sie auch hier Warnungen in den Wind schlug, ist bekannt.

Wo sollte eine neue Bundesregi­erung anknüpfen, wo andere Akzente setzen? Wolffsohn: Welchen Worten auch immer sollten die entspreche­nden Taten folgen. Schluss mit der scheinnett­en Fassade, die – gewollten oder ungewollte­n – Zynismus Israel und „den“Juden gegenüber verdecken soll. Zuckerwatt­e sättigt nicht, sie ist nur ungesund.

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