„Oldenburg ist ein Abgrund!“
Autor Jan Brandt liest aus „Gangland-Chroniken“über das Oldenburger Land
Im Juli hielt der Schriftsteller Jan Brandt eine Lesung in Jade. Den Text hatte er am Morgen fertiggeschrieben, er war noch nicht einmal ausgedruckt. Jetzt liest er wieder im Nordwesten: Vor einem Jahr reiste er mit dem Landgang-Stipendium des Literaturhauses Oldenburg durchs Oldenburger Land. Die daraus entstandenen Texte stellt er nun vor.
Ab Sonntag gehen Sie auf Lesereise durchs Oldenburger Land – sechs Texte an sechs Orten. Sind die Texte schon fertig?
Jan Brandt: Den Text für Oldenburg werde ich wohl auch vom Laptop ablesen müssen.
Die literarische Verarbeitung Ihres Landgang-Reisestipendiums nennen Sie die „Gangland-Chroniken“. Klingt nach Großstadt, Hinterhöfen, Drogen – nicht nach Oldenburger Land. Wie kamen Sie darauf? Brandt: Es kam nicht nur vom Umstellen der Namensteile. Am ersten Abend in Cloppenburg wurde ich geweckt, weil sich vor dem Hotel zwei junge Männer darüber unterhielten, dass sie gerade auf dem Polizeirevier verhört worden waren, sie hatten Fahrräder geklaut. Ich hab mich ans Fenster gestellt und einfach mitgeschrieben. In Delmenhorst gab es die Geschichte eines verschwundenen Bronze-Reihers. Es kamen immer mehr solcher Verbrechen und unterschwelliger Machenschaften zusammen. Die machten das Gangland-Motiv für mich sehr plausibel. Oldenburg ist ein Abgrund.
Sie waren der erste LandgangStipendiat, der unter Pandemie-Bedingungen reiste. Welchen Einfluss hatte das? Brandt: Ohne Pandemie hätte ich mir das in etwa so vorgestellt: Man geht in eine Kneipe, fängt an, mit den Leuten zu sprechen, und daraus entwickelt sich eine Geschichte.
Die Pandemie zwang viele Aktivitäten nach draußen… Brandt: Es liegt in der Natur der Sache des Landgangs, dass man durch diese Orte wandelt und beobachtet, was sie auszeichnet. Aber ich bin eher ein
Gesellschaftsautor. Ich suche die Nähe zu den Menschen und versuche, darüber die Charakteristika der Orte zu entwickeln. Aus Sorge, dass sich Zufallsbekanntschaften nicht ergeben, suchte ich mir im Vorfeld „Paten“in den jeweiligen Orten, mit denen ich Gespräche geführt habe.
Gab’s trotzdem solche Zufallsbegegnungen?
Brandt: Mit den Kleinstadtgangstern in Cloppenburg hatte ich natürlich nicht gerechnet. Oder in Seefeld: Auf der Suche nach einer Geschichte fuhr ich durch die Gegend und sah, wie sich die Dorfjugend mit Treckern versammelte. Es stellte sich heraus: Da fand ein Treckerkino statt. Dort habe ich mich dann mit einem Kreisjugenddiakon über Bundeswehr und Fridays For Future unterhalten. Das hätte ich so nie geplant.
Sie sind in Ostfriesland aufgewachsen. Es gibt immer noch eine, wenn auch spielerische, Rivalität zwischen Ostfriesland und Oldenburg. Haben Sie echte Unterschiede entdeckt? Brandt: In der Vergangenheit war’s ja nicht nur spielerische Rivalität, sondern tatsächlich kriegerische Auseinandersetzung. Die Erfindung der Ostfriesenwitze in Westerstede empfinde ich immer noch als eine späte Rache an diesen kriegerischen Bemühungen, das Oldenburger Land zu übernehmen. Aber ich würde sagen, die Mentalität ist doch sehr ähnlich: eine anfängliche Zurückhaltung und dann doch eine große Offenheit, die ich da erlebt habe.
Gab es besonders berührende Momente auf der Reise? Brandt: Bei einigen Begegnungen konnte ich eine Art Heimatgefühl entwickeln, sodass ich dachte, das sind Personen, die ich gern wiedersehen, Orte, die ich noch einmal aufsuchen möchte. Ich fand schön zu sehen, dass es solche Anknüpfungspunkte gibt, dass Freundschaft möglich ist.
Das Thema „Stadt oder Land“taucht bei Ihnen als Ostfriese in Berlin immer wieder auf. Haben Sie nach dieser Reise wieder Lust auf Land bekommen? Brandt: Es hat ja beides immer Vor- und Nachteile. Für mich war diese Reise interessant, weil sie beide Welten durchmisst. So richtig Land war nur Seefeld: dieses Dörfliche, die landschaftliche Weite. Die anderen Orte sind doch eher städtisch. Dieses Kleinstädtische fand ich schön. Die Entfernungen sind nicht so groß, man kann einen Tag an diesem Ort verbringen und die Essenz daraus ziehen. In Großstädten ist das nicht möglich.