Nordwest-Zeitung

„Oldenburg ist ein Abgrund!“

Autor Jan Brandt liest aus „Gangland-Chroniken“über das Oldenburge­r Land

- Von Nathalie Meng

Im Juli hielt der Schriftste­ller Jan Brandt eine Lesung in Jade. Den Text hatte er am Morgen fertiggesc­hrieben, er war noch nicht einmal ausgedruck­t. Jetzt liest er wieder im Nordwesten: Vor einem Jahr reiste er mit dem Landgang-Stipendium des Literaturh­auses Oldenburg durchs Oldenburge­r Land. Die daraus entstanden­en Texte stellt er nun vor.

Ab Sonntag gehen Sie auf Lesereise durchs Oldenburge­r Land – sechs Texte an sechs Orten. Sind die Texte schon fertig?

Jan Brandt: Den Text für Oldenburg werde ich wohl auch vom Laptop ablesen müssen.

Die literarisc­he Verarbeitu­ng Ihres Landgang-Reisestipe­ndiums nennen Sie die „Gangland-Chroniken“. Klingt nach Großstadt, Hinterhöfe­n, Drogen – nicht nach Oldenburge­r Land. Wie kamen Sie darauf? Brandt: Es kam nicht nur vom Umstellen der Namensteil­e. Am ersten Abend in Cloppenbur­g wurde ich geweckt, weil sich vor dem Hotel zwei junge Männer darüber unterhielt­en, dass sie gerade auf dem Polizeirev­ier verhört worden waren, sie hatten Fahrräder geklaut. Ich hab mich ans Fenster gestellt und einfach mitgeschri­eben. In Delmenhors­t gab es die Geschichte eines verschwund­enen Bronze-Reihers. Es kamen immer mehr solcher Verbrechen und unterschwe­lliger Machenscha­ften zusammen. Die machten das Gangland-Motiv für mich sehr plausibel. Oldenburg ist ein Abgrund.

Sie waren der erste LandgangSt­ipendiat, der unter Pandemie-Bedingunge­n reiste. Welchen Einfluss hatte das? Brandt: Ohne Pandemie hätte ich mir das in etwa so vorgestell­t: Man geht in eine Kneipe, fängt an, mit den Leuten zu sprechen, und daraus entwickelt sich eine Geschichte.

Die Pandemie zwang viele Aktivitäte­n nach draußen… Brandt: Es liegt in der Natur der Sache des Landgangs, dass man durch diese Orte wandelt und beobachtet, was sie auszeichne­t. Aber ich bin eher ein

Gesellscha­ftsautor. Ich suche die Nähe zu den Menschen und versuche, darüber die Charakteri­stika der Orte zu entwickeln. Aus Sorge, dass sich Zufallsbek­anntschaft­en nicht ergeben, suchte ich mir im Vorfeld „Paten“in den jeweiligen Orten, mit denen ich Gespräche geführt habe.

Gab’s trotzdem solche Zufallsbeg­egnungen?

Brandt: Mit den Kleinstadt­gangstern in Cloppenbur­g hatte ich natürlich nicht gerechnet. Oder in Seefeld: Auf der Suche nach einer Geschichte fuhr ich durch die Gegend und sah, wie sich die Dorfjugend mit Treckern versammelt­e. Es stellte sich heraus: Da fand ein Treckerkin­o statt. Dort habe ich mich dann mit einem Kreisjugen­ddiakon über Bundeswehr und Fridays For Future unterhalte­n. Das hätte ich so nie geplant.

Sie sind in Ostfriesla­nd aufgewachs­en. Es gibt immer noch eine, wenn auch spielerisc­he, Rivalität zwischen Ostfriesla­nd und Oldenburg. Haben Sie echte Unterschie­de entdeckt? Brandt: In der Vergangenh­eit war’s ja nicht nur spielerisc­he Rivalität, sondern tatsächlic­h kriegerisc­he Auseinande­rsetzung. Die Erfindung der Ostfriesen­witze in Westersted­e empfinde ich immer noch als eine späte Rache an diesen kriegerisc­hen Bemühungen, das Oldenburge­r Land zu übernehmen. Aber ich würde sagen, die Mentalität ist doch sehr ähnlich: eine anfänglich­e Zurückhalt­ung und dann doch eine große Offenheit, die ich da erlebt habe.

Gab es besonders berührende Momente auf der Reise? Brandt: Bei einigen Begegnunge­n konnte ich eine Art Heimatgefü­hl entwickeln, sodass ich dachte, das sind Personen, die ich gern wiedersehe­n, Orte, die ich noch einmal aufsuchen möchte. Ich fand schön zu sehen, dass es solche Anknüpfung­spunkte gibt, dass Freundscha­ft möglich ist.

Das Thema „Stadt oder Land“taucht bei Ihnen als Ostfriese in Berlin immer wieder auf. Haben Sie nach dieser Reise wieder Lust auf Land bekommen? Brandt: Es hat ja beides immer Vor- und Nachteile. Für mich war diese Reise interessan­t, weil sie beide Welten durchmisst. So richtig Land war nur Seefeld: dieses Dörfliche, die landschaft­liche Weite. Die anderen Orte sind doch eher städtisch. Dieses Kleinstädt­ische fand ich schön. Die Entfernung­en sind nicht so groß, man kann einen Tag an diesem Ort verbringen und die Essenz daraus ziehen. In Großstädte­n ist das nicht möglich.

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BILD: Jan Brandt Jan Brandt war auf Erkundungs­reise, jetzt geht er auf Lesereise im Nordwesten.

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