„Ich will die Verwandlung der Demokratie zeigen“
Krimi-Autor Volker Kutscher liest in der Kulturetage aus seinem Roman „Olympia“
Volker Kutscher zählt aktuell zu den erfolgreichsten deutschen Autoren. Seine KrimiSerie um Oberkommissar Gereon Rath, die im Berlin der späten 1920er- und 30er-Jahre angesiedelt ist, hat eine riesige Fan-Gemeinde. Im aktuellsten Roman „Olympia“dreht sich alles um einen Mordfall im Olympischen Dorf und die Propaganda, die die Nationalsozialisten rund um das für seine Zeit gigantische Sportereignis spinnen. Unsere Redaktion hat im Vorfeld mit dem Autor über „Olympia“und seine Arbeit an der Reihe gesprochen. Dabei spricht Kutscher auch über die Fortsetzung der Geschichte, an der er gerade schreibt.
Herr Kutscher, Sie haben für ihren aktuellen Rath-Roman die Olympischen Spiele 1936 als Rahmen gewählt. Was hat Sie dazu veranlasst? Volker Kutscher: Das OlympiaThema hat sich aus der chronologischen Erzählstruktur der Roman-Reihe ergeben. Die Spiele waren das beherrschende Thema des Jahres 1936. Deshalb war mir schon lange klar, dass die Spiele an dieser Stelle der Rath-Reihe eine Rolle spielen wird – allerdings ohne die sportlichen Ereignisse in den Fokus zu rücken.
Sondern?
Kutscher: Auslöser der Handlung ist ein Mord, der sich im Olympischen Dorf ereignet, in dem Gereon Rath verdeckt ermittelt. Natürlich soll davon nichts an die Öffentlichkeit gelangen, die ganze Stadt war ja im Olympiafieber und die Spiele ein willkommenes Mittel für die Nazi-Propaganda.
Wie haben Sie diese Zeit bei Ihrer Recherche erlebt? Kutscher: Im Vordergrund standen die allgegenwärtigen Olympischen Spiele, die für die Berliner eine große Rolle gespielt haben. Auf alten Bildern sieht man die Begeisterung der Bevölkerung oder Autos mit kleinen OlympiaFähnchen.
Auf der anderen Seite ist gleichzeitig, wenige Kilometer nördlich der Stadt, das Konzentrationslager Sachsenhausen errichtet worden. Dazu findet sich in der damaligen Berichterstattung der Zeitungen natürlich nichts. Trotzdem hat die Propaganda der Nazis nicht alle Menschen geblendet.
Findet sich dieser Zwiespalt auch im Roman wieder? Kutscher: Auf jeden Fall. Genau diese Atmosphäre wollte ich beim Schreiben des Romans einfangen. So erscheinen dann zum Beispiel Charlotte Rath, Gereon Raths Frau, die die Nazi-Regierung und die Olympischen Spiele ablehnt, oder ihr Pflegesohn Fritze, der dem Jugendehrendienst im Olympischen Dorf angehört. Schlimm wird es für einen
Verdächtigen im Mordfall, der sich auf einmal im KZ wiederfindet.
Der Nationalsozialismus nimmt eine immer größere und bedrohlichere Rolle in ihren Romanen ein. Wird das so bleiben?
Kutscher: Zwangsläufig, denn der Nationalsozialismus betrifft die Figuren ja unmittelbar und wird zum immer ernsteren Thema. Das wird sich auch in den zwei noch folgenden Romanen nicht ändern.
Wie weit wollen Sie die Geschichte noch erzählen? Kutscher: Ich habe mit dem Schreiben des Folgeromans begonnen, der im Jahr 1937 spielt. Darin wird die Geschichte an zwei Orten fortgesetzt. Zum einen in Deutschland, das den Weg in Richtung Diktatur und Krieg fortsetzt. Auf der anderen Seite wird der Gegenpol USA eine Rolle spielen.
Ihren Abschluss soll die Reihe im Jahr 1938 mit der Reichspogromnacht finden. Das ist der endgültige Schritt von Deutschland in die Barbarei. An diesem Tag wird deutlich, dass die Diskriminierung und Ausgrenzung der Juden in letzter Konsequenz in deren Ermordung mündet, und dass die Politik der Nazis in den Krieg führen wird. Das ist der point of no return.
Den Krieg selbst wollen Sie nicht thematisieren? Kutscher: Nein, der Krieg ist zu pervers, als dass ich darüber schreiben möchte. Ich will den Weg dahin zeigen. Die Verwandlung einer demokratischen Gesellschaft in die schlimmstmögliche Diktatur.
Wann ist mit einem neuen Rath-Roman zu rechnen? Kutscher: Wenn alles klappt, im November 2022. Jetzt ist zunächst einmal ganz frisch „Mitte“erschienen, nach „Moabit“meine zweite Zusammenarbeit mit Kat Menschik. Dort wird die Geschichte vom Ziehsohn der Raths, Fritze, weiter erzählt, wie es ihm nach „Olympia“ergangen ist.