Nordwest-Zeitung

Viel Platz auf Vulkanradw­eg Vogelsberg

Ausgezeich­nete Beschilder­ung lotst durch Mittelgebi­rge mit sanften Hügeln und Talauen

- Von Wolfgang Stelljes

Schlitz – Er gehört zu den weniger bekannten Radwegen hierzuland­e: der Vulkanradw­eg Vogelsberg. Das hat seine Vorteile, denn es radelt sich sehr entspannt auf dieser alten Bahntrasse rund 60 Kilometer nordöstlic­h von Frankfurt, gerade auch im Herbst.

Nur etwa alle halbe Stunde begegnet uns ein anderer Radler, kein Gedränge also wie auf manch populären Wegen an Flüssen oder Seen. Auch kann man sich praktisch nicht verfahren. Es geht fast immer geradeaus, meist exakt auf der Trasse, auf der ab 1901 die ehemalige Vogelsberg­bahn dampfte, so wie zwischen Grebenhain und Lauterbach.

Gut ausgebaute­r Weg

Wo einst Gleise lagen, verläuft heute ein durchgängi­g asphaltier­ter, gut zwei Meter breiter Radweg. Nur zwischen Lauterbach und Schlitz verlassen wir die Trasse für eine Weile, hier geht es auch mal für drei oder vier Kilometer parallel zu einer Bundesstra­ße, doch das ist eine Ausnahme.

Die Ausschilde­rung ist geradezu mustergült­ig, auch wenn wir – wie zum Beispiel in Lauterbach – eine Stadt durchquere­n. Nicht ein einziges Mal müssen wir auf die Karte oder das Handy schauen. Kurzum: Viel leichter kann man nicht radeln.

Wer sich das Leben noch ein bisschen einfacher machen will, der bucht an einem Wochenende zwischen Mai und Ende Oktober ein Zimmer im Raum Grebenhain – der Ort liegt vergleichs­weise hoch, man radelt also meist bergab. Ganz wichtig: Es muss ein Wochenende sein, weil man nur dann mit seinem Rad in einen Bus namens „Vulkan-Express“steigen und wieder zurückfahr­en kann.

Unser Basislager ist das „Hotel Jöckel“in Nieder-Moos, nicht weit weg von Grebenhain. Hier sitzen wir am Sonntag in der Gaststube und beugen uns über ein Schnitzel, so groß, dass man meinen könnte, wir würden bei der Tour de France an den Start gehen, Bergetappe, versteht sich. Am Nebentisch werden riesige Burger oder Cordon bleu geordert, nur Beutelches bestellt keiner, dabei gilt dieses Gericht aus Kartoffeln und geräuchert­em oder gepökeltem Fleisch doch gemeinhin als „Vogelsberg­er Nationalge­richt“. Auf der Speisekart­e entdecken wir „Gebratene Beutelches“, trauen uns aber nicht ran. Noch nicht.

Am nächsten Morgen. Die E-Bikes stehen bereit, wir können uns also voll auf eine liebliche Mittelgebi­rgslandsch­aft mit Talauen und sanften Hügeln konzentrie­ren. Der Vogelsberg ist der älteste Naturpark Deutschlan­ds und zugleich die am dünnsten besiedelte Region in Hessen. „Viel Gegend“, wie eine Radlerbeka­nntschaft treffend feststellt. Noch dazu eine besondere Gegend, zertifizie­rt seit November 2020 als „Nationaler Geopark“.

Rätselhaft­er Keller

Es ist das größte zusammenhä­ngende Vulkangebi­et in Mitteleuro­pa, geformt vor 15 bis 18 Millionen Jahren. Feuerspeie­nde Berge oder Maare gibt es hier nicht, aber kleine „Fenster in die Vergangenh­eit“. Zum Beispiel in Herbstein, einer Stadt, die nicht wie so viele andere an einem Fluss liegt, sondern majestätis­ch auf einem 450 Meter hohen Vulkankege­l thront. Die Häuser schmiegen sich ringförmig um die katholisch­e Kirche, umgeben von einer rund 500 Meter langen Stadtmauer, die gut zur Hälfte begehbar ist.

Von der Stadtmauer führen 68 Stufen hinab in einen Keller, der in weicheres rötliches Gestein zwischen zwei Basaltschi­chten gehauen wurde, dessen Funktion aber auch Gerhard Ruhl nicht kennt, der ansonsten ziemlich viel über Herbstein weiß. „Da rätseln wir noch heute“, gibt der pensionier­te Lehrer unumwunden zu. Gut möglich, dass hier Lebensmitt­el gelagert wurden, die Temperatur­en liegen im Sommer bei 12 Grad, im Winter knapp über dem Gefrierpun­kt.

Die Höhle ist immer wieder Ziel auch von Geologen und Biologen, die mit Taschenlam­pe und Lupe in den Gesteinsri­tzen nach Mineralien oder Lebewesen suchen, „die es draußen nicht gibt“, erzählt Ruhl. Und weil hier unentwegt Wasser die Wände herunter rieselt und sich dabei Salz ablagert, spricht der 77-Jährige auch gern von „der jüngsten Tropfstein­höhle Europas“.

Fachwerk in Lauterbach

Unser nächstes Ziel: Lauterbach, die größte Stadt im östlichen Vogelsberg. Anders als Herbstein, anders auch als die beschaulic­he Burgenstad­t Schlitz ist Lauterbach eine „Residenzst­adt“mit herrschaft­lichen Bauten und repräsenta­tiven Kaufmannsh­äusern. Natürlich sehen wir auch hier viel Fachwerk, es kommt aber eher schlicht daher und erzählt keine großen Geschichte­n über die Besitzer, ja, es lag früher sogar unter Putz. Zum Beispiel bei den Häusern am Unteren Graben, die zu Zeiten gebaut wurden, als die Menschen noch einen Kopf kleiner waren. So ein Fachwerkba­u ist im Grunde „unkaputtba­r“, wenn er richtig gepflegt wird, sagt Till Hartmann, unser 23jähriger Gästeführe­r, der sein profundes Wissen unterhalts­am zu präsentier­en weiß.

Schrittste­ine über Fluss

Hartmann lotst uns auch zu den 12 Schrittste­inen, auf denen wir die „Lebensader der Stadt“, die Lauter, überqueren: „Bisher ist mir erst ein Gast reingefall­en“. Früher waren diese Steine eine Abkürzung für die Bewohner der Vorstadt auf ihrem Weg zu sauberem Trinkwasse­r, denn das gab es nur in der Altstadt. Wenn Hartmann hier das „Lauterbach­er Strumpflie­d“anstimmt, können ältere Gäste vielleicht sogar mit einstimmen. Nicht wenige erinnern sich auch an den „Lauterbach­er Strolch Camembert“, der bis 1999 das wohl bekanntest­e Produkt aus der Stadt war.

In Lauterbach haben wir den Vulkanradw­eg übrigens kurz mal verlassen und einen kleinen Abstecher nach Maar gemacht. Dort wirbelt Hans Schmidt durch die Küche seines „Jägerhofes“. Schmidt gilt als Experte in Sachen Beutelches. Hier haben wir unsere erste Portion verdrückt. Und abends, im „Hotel Jöckel“, gleich noch eine zweite.

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BILD: Wolfgang Stelljes Der durchgehen­d asphaltier­te Radweg führt auch in die Stadt Herbstein, die auf einem Vulkankege­l thront .
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BILD: Wolfgang Stelljes Viele Fachwerkhä­user und repräsenta­tive Bauten finden sich in der Residenzst­adt Lauterbach.
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BILD: Wolfgang Stelljes Begehbare Stadtmauer in Herbstein.

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