Viel Platz auf Vulkanradweg Vogelsberg
Ausgezeichnete Beschilderung lotst durch Mittelgebirge mit sanften Hügeln und Talauen
Schlitz – Er gehört zu den weniger bekannten Radwegen hierzulande: der Vulkanradweg Vogelsberg. Das hat seine Vorteile, denn es radelt sich sehr entspannt auf dieser alten Bahntrasse rund 60 Kilometer nordöstlich von Frankfurt, gerade auch im Herbst.
Nur etwa alle halbe Stunde begegnet uns ein anderer Radler, kein Gedränge also wie auf manch populären Wegen an Flüssen oder Seen. Auch kann man sich praktisch nicht verfahren. Es geht fast immer geradeaus, meist exakt auf der Trasse, auf der ab 1901 die ehemalige Vogelsbergbahn dampfte, so wie zwischen Grebenhain und Lauterbach.
Gut ausgebauter Weg
Wo einst Gleise lagen, verläuft heute ein durchgängig asphaltierter, gut zwei Meter breiter Radweg. Nur zwischen Lauterbach und Schlitz verlassen wir die Trasse für eine Weile, hier geht es auch mal für drei oder vier Kilometer parallel zu einer Bundesstraße, doch das ist eine Ausnahme.
Die Ausschilderung ist geradezu mustergültig, auch wenn wir – wie zum Beispiel in Lauterbach – eine Stadt durchqueren. Nicht ein einziges Mal müssen wir auf die Karte oder das Handy schauen. Kurzum: Viel leichter kann man nicht radeln.
Wer sich das Leben noch ein bisschen einfacher machen will, der bucht an einem Wochenende zwischen Mai und Ende Oktober ein Zimmer im Raum Grebenhain – der Ort liegt vergleichsweise hoch, man radelt also meist bergab. Ganz wichtig: Es muss ein Wochenende sein, weil man nur dann mit seinem Rad in einen Bus namens „Vulkan-Express“steigen und wieder zurückfahren kann.
Unser Basislager ist das „Hotel Jöckel“in Nieder-Moos, nicht weit weg von Grebenhain. Hier sitzen wir am Sonntag in der Gaststube und beugen uns über ein Schnitzel, so groß, dass man meinen könnte, wir würden bei der Tour de France an den Start gehen, Bergetappe, versteht sich. Am Nebentisch werden riesige Burger oder Cordon bleu geordert, nur Beutelches bestellt keiner, dabei gilt dieses Gericht aus Kartoffeln und geräuchertem oder gepökeltem Fleisch doch gemeinhin als „Vogelsberger Nationalgericht“. Auf der Speisekarte entdecken wir „Gebratene Beutelches“, trauen uns aber nicht ran. Noch nicht.
Am nächsten Morgen. Die E-Bikes stehen bereit, wir können uns also voll auf eine liebliche Mittelgebirgslandschaft mit Talauen und sanften Hügeln konzentrieren. Der Vogelsberg ist der älteste Naturpark Deutschlands und zugleich die am dünnsten besiedelte Region in Hessen. „Viel Gegend“, wie eine Radlerbekanntschaft treffend feststellt. Noch dazu eine besondere Gegend, zertifiziert seit November 2020 als „Nationaler Geopark“.
Rätselhafter Keller
Es ist das größte zusammenhängende Vulkangebiet in Mitteleuropa, geformt vor 15 bis 18 Millionen Jahren. Feuerspeiende Berge oder Maare gibt es hier nicht, aber kleine „Fenster in die Vergangenheit“. Zum Beispiel in Herbstein, einer Stadt, die nicht wie so viele andere an einem Fluss liegt, sondern majestätisch auf einem 450 Meter hohen Vulkankegel thront. Die Häuser schmiegen sich ringförmig um die katholische Kirche, umgeben von einer rund 500 Meter langen Stadtmauer, die gut zur Hälfte begehbar ist.
Von der Stadtmauer führen 68 Stufen hinab in einen Keller, der in weicheres rötliches Gestein zwischen zwei Basaltschichten gehauen wurde, dessen Funktion aber auch Gerhard Ruhl nicht kennt, der ansonsten ziemlich viel über Herbstein weiß. „Da rätseln wir noch heute“, gibt der pensionierte Lehrer unumwunden zu. Gut möglich, dass hier Lebensmittel gelagert wurden, die Temperaturen liegen im Sommer bei 12 Grad, im Winter knapp über dem Gefrierpunkt.
Die Höhle ist immer wieder Ziel auch von Geologen und Biologen, die mit Taschenlampe und Lupe in den Gesteinsritzen nach Mineralien oder Lebewesen suchen, „die es draußen nicht gibt“, erzählt Ruhl. Und weil hier unentwegt Wasser die Wände herunter rieselt und sich dabei Salz ablagert, spricht der 77-Jährige auch gern von „der jüngsten Tropfsteinhöhle Europas“.
Fachwerk in Lauterbach
Unser nächstes Ziel: Lauterbach, die größte Stadt im östlichen Vogelsberg. Anders als Herbstein, anders auch als die beschauliche Burgenstadt Schlitz ist Lauterbach eine „Residenzstadt“mit herrschaftlichen Bauten und repräsentativen Kaufmannshäusern. Natürlich sehen wir auch hier viel Fachwerk, es kommt aber eher schlicht daher und erzählt keine großen Geschichten über die Besitzer, ja, es lag früher sogar unter Putz. Zum Beispiel bei den Häusern am Unteren Graben, die zu Zeiten gebaut wurden, als die Menschen noch einen Kopf kleiner waren. So ein Fachwerkbau ist im Grunde „unkaputtbar“, wenn er richtig gepflegt wird, sagt Till Hartmann, unser 23jähriger Gästeführer, der sein profundes Wissen unterhaltsam zu präsentieren weiß.
Schrittsteine über Fluss
Hartmann lotst uns auch zu den 12 Schrittsteinen, auf denen wir die „Lebensader der Stadt“, die Lauter, überqueren: „Bisher ist mir erst ein Gast reingefallen“. Früher waren diese Steine eine Abkürzung für die Bewohner der Vorstadt auf ihrem Weg zu sauberem Trinkwasser, denn das gab es nur in der Altstadt. Wenn Hartmann hier das „Lauterbacher Strumpflied“anstimmt, können ältere Gäste vielleicht sogar mit einstimmen. Nicht wenige erinnern sich auch an den „Lauterbacher Strolch Camembert“, der bis 1999 das wohl bekannteste Produkt aus der Stadt war.
In Lauterbach haben wir den Vulkanradweg übrigens kurz mal verlassen und einen kleinen Abstecher nach Maar gemacht. Dort wirbelt Hans Schmidt durch die Küche seines „Jägerhofes“. Schmidt gilt als Experte in Sachen Beutelches. Hier haben wir unsere erste Portion verdrückt. Und abends, im „Hotel Jöckel“, gleich noch eine zweite.