Nordwest-Zeitung

Pokern um den nächsten Bundespräs­identen

Amtsinhabe­r Steinmeier hat gute Karten – Aber es gibt auch andere Optionen

- Von Gregor Mayntz, Büro Berlin

Berlin – Kurz nach seiner Wahl stellte der erste deutsche Bundespräs­ident Theodor Heuss 1949 Spekulatio­nen über den Grund an: Er selbst habe das höchste Staatsamt schließlic­h „nicht im unruhigen Ehrgeiz erstrebt“. Er sehe darin vielmehr eine Anerkennun­g für die Mittlerauf­gabe, die er zuvor beim Entstehen des Grundgeset­zes übernommen habe. Schließlic­h habe er „auf der Rechten wie auf der Linken persönlich­e Freundscha­ften“.

Blumige Worte zur Umschreibu­ng eines profanen Hintergrun­des: Union und FDP hatten sich vorher auf eine Koalition und darauf geeinigt, dass Konrad Adenauer von der CDU erster Bundeskanz­ler und Theodor Heuss von der FDP erster Bundespräs­ident wird. Die geheime Stimmabgab­e sorgte zwar für knappe Verhältnis­se, aber so kam es.

Und wie sind nun die Mehrheiten?

Einzig eine neue Groko hätte rund hundert Stimmen Vorsprung bei einer Zweier-Kombinatio­n. Viel wahrschein­licher ist eine Dreier-Verständig­ung. Ein Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und FDP käme auf einen komfortabl­en Vorsprung von knapp hundert Stimmen. Gut drei Dutzend Stimmen über Soll brächte auch die Ampel aus SPD, Grünen und Liberalen zusammen. Ein Linksbündn­is aus SPD, Linken und Grünen schafft nicht genügend Stimmen.

Frau an der Spitze

Formal werden Absprachen zwischen den künftigen Koalitions­partnern zum Stimmverha­lten in der Bundesvers­ammlung nicht Teil der offizielle­n Verhandlun­gen sein. Wenn am Ende aber um wichtige Sachentsch­eidungen, Ministeriu­msbesetzun­gen und Vorschlags­rechte für wichtige Posten außerhalb des Kabinetts gepokert wird, dürfte der

Blick automatisc­h auch auf das Präsidente­namt fallen. Denn hier wird die neue Koalition schon bald eine Mehrheit zu organisier­en haben.

Abstrakt herrscht eine doppelte und sich widersprec­hende Vorstellun­g vor. Erstens: Es wird nach 72 Jahren Männern an der Staatsspit­ze höchste Zeit für eine Frau Bundespräs­identin. Zweitens: Amtsinhabe­r Frank-Walter Steinmeier macht einen tollen Job und

würde keine Bedenken wegen einer zweiten Amtszeit auslösen. Das finden nach einer Forsa-Umfrage auch rund 70 Prozent der Bevölkerun­g. Durch einen ungewöhnli­chen Vorstoß hatte Steinmeier bereits im Mai seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit angemeldet, nachdem er aus verschiede­nen Parteien Rückhalt verspüren konnte.

Doch die Grünen haben als gewachsene­r Machtfakto­r den

Anspruch, auf Augenhöhe aufzutrete­n. Sie haben noch nie das Staatsober­haupt stellen dürfen, Union, SPD und FDP schon mehrfach. Außerdem haben sie mit Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt eine vorzeigbar­e Frau aus dem Osten, die auch erkennbar bereit ist für den Sprung an die Spitze.

Allerdings wollen weder FDP noch Grüne im Stadium der Sondierung­en erkennen lassen, dass ihnen die Besetzung des Amtes etwas wert sein könnte. Der Ball liegt ohnehin im Spielfeld der SPD.

SPD-Strategie

Bis Mitte Oktober muss sich die SPD entscheide­n, wen sie als stärkste Fraktion für die Spitze des Parlamente­s vorschlägt. Ist es eine Frau, steigen die Chancen für Steinmeier. Ist es ein Mann und müssen die Grünen am Ende der Verhandlun­gen personell kompensier­t werden, schwinden sie.

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