Ein Häppchen vom „weiblichen Beethoven“
Kammermusik von zwölf Komponistinnen im PFL – Wie ein Spaziergang durch Musikgeschichte
Oldenburg – Wer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Emilie Mayer suchte, wurde schnell fündig, im Stettiner Telefonbuch. Dieser Musikstar wurde mit dem damals verwegenen Berufsbekenntnis „Komponistin“geführt. Doch wer kennt heute diese Emilie Mayer?
Wiederentdeckungen
Im PFL erinnert ein kleines Notturno für Violine und Klavier, 1883 komponiert, an Mayer. Jochen Pade weiß einiges mehr. „Diese Frau konnte vom Komponieren sogar leben“, erzählt der Pianist. „Sie galt als der weibliche Beethoven, wurde frenetisch gefeiert.“
Doch mit ihrem Tod verschwand ihre Musik. „So erging es vielen einst bekannten Komponistinnen.“
Folglich führen spätere Doch-noch-Aufführungen, hier von der barocken Elizabeth Turner über die romantischen und impressionistischen Cecile Chaminade und Amy Beach bis zu den im 20. Jahrhundert verwurzelten Germaine Tailleferre oder Henriette Bosmans zur Etikettierung „Wiederentdeckungen.“Das ist auch der Titel dieses faszinierenden Konzerts im Veranstaltungszentrum. Pade, Quantenphysiker, einst Uni-Dozent, Grünen-Politiker, Pianist, hat aus der Uni verschiedene Projekte zu Frauenleben im Musikbetrieb zusammengeführt.
Das staunende Auditorium fragt sich, was mehr anrührt: die kunstvolle, farben- und nuancenreiche Musik oder die erläuterten Lebenshintergründe. Etwa bei Lili Boulanger. Die Französin gewann mit 19 Jahren als erste Frau den Prix de Rome, ehe sie 1918 mit 25 Jahren unheilbar krank starb: „Bis zuletzt hat sie ihrer Schwester Nadja noch Noten diktiert.“
Zu zwei Frauen gibt es Fingerzeige nach Oldenburg. Louise Farrenc (1804 – 1875) kam Uni-Studierenden in einem Projekt näher. Ihre großen Sinfonien leben auf CD wieder auf. Ruth Schonthaler (1926 – 2006), einst ein Wunderkind, dann von den Nazis vertrieben, trat fast auf den Tag genau vor 22 Jahren in der Kulturetage auf.
Tonfall getroffen
Den einesteils zeitverbundenen, andererseits aber auch persönlich geprägten Tonfall trifft das Ensemble mitreißend: Norbert Ternes (Violine) mit seinen vielen Schattierungen, Jörg Heinemann (Cello) mit seinem Gleichgewicht zwischen Zupacken und feinem Innehalten, Martin Czischke-Müller (Flöte) mit virtuoser Wendigkeit und weiten Melodiebögen. Ja, und Pianist Pade, der sich nie in den Vordergrund spielt, aber dezent führt.
Und da sind da noch die Sopranistin Stefanie Hoppe und die Komponistin Violeta Dinescu! Die Sängerin hat mit gehaltvoller Schlichtheit Lieder von Clara Schumann und
Amy Beach gesungen, ehe sie ins Zentrum einer Uraufführung tritt. Dinescu prägt seit über 30 Jahren das Oldenburger Musikleben, wirkt aktuell noch als Dekanin in Salzburg. Ihr erstmals aufgeführtes „Warum singt der Vogel nicht mehr“setzt noch einen Höhepunkt in dieses Komponistinnen-Kompendium.
Begleitet vom gesamten Quartett, gestaltet Hoppe alle ausziselierten Schattierungen von Dinescus Musik zwischen empörten und verzagten Fragen, Schwebeklängen, Verschiebungen der Wortfolgen und Strukturen bis zum Stillstand.
Ein höchst informativer Gang durch 260 Jahre Musikgeschichte von Frauen in gut zwei Stunden. Respekt!