Nordwest-Zeitung

Thema Migration spaltet Frankreich

Koloniale Vergangenh­eit in Algerien nicht aufgearbei­tet – Massaker von Paris vor 60 Jahren

- Von Rachel Bossmeyer

Paris – Anerkennun­g von Schuld, Wiedergutm­achung, Rückgabe von Raubgütern – Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron hat sich in den vergangene­n Jahren immer wieder als postkoloni­aler Kümmerer inszeniert. Auch des lange still geschwiege­nen Massakers von Paris vom

17. Oktober 1961 will er zum

60. Jahrestag gedenken. Doch dem gegenüber stehen aufgeheizt­e Identitäts­debatten und eine fragmentie­rte französisc­he Gesellscha­ft – postkoloni­ale Spuren, die nicht mit ein paar Gesten geebnet werden können.

In der Banlieue

Das Massaker von Paris (siehe Infobox) jährt sich am Sonntag zum 60. Mal. Lange Zeit hüllte sich Frankreich in Schweigen um die koloniale Vergangenh­eit. Die Informatio­nen waren da, doch herrschte eine gewisse Ignoranz, wie die Historiker­in Malika Rahal erklärt. Heute sei der Diskurs expliziter, doch auch der Widerstand dagegen stärker. Und noch immer beeinfluss­t die Kolonialze­it die Verhältnis­se in Frankreich, etwa beim Thema Zugehörigk­eit, wie Soziologe Ahmed Boubeker sagt. „Wir sind dabei, eine Vision der Staatsbürg­erschaft zu schaffen, die auf Rasse und kulturelle­r Herkunft basiert.“Manche Franzosen würden nicht als gleichwert­ig gesehen, Menschen mit postkoloni­aler Migrations­geschichte immer stärker als andersarti­g diskrimini­ert.

Für Boubeker treffen hier die soziale und postkoloni­ale Frage zusammen. „Die Menschen in den prekärsten

Situatione­n sind die in der Banlieue, und in der Banlieue leben überwiegen­d Menschen mit postkoloni­aler Migrations­geschichte.“Eine ganze Generation habe erschwerte­n Zugang zu Bildung, sei am Rande des Arbeitsmar­kts, sei selbst in der Freizeit Rassismus ausgesetzt. Dass es dafür keine Lösung gebe, liege auch daran, dass ein Erinnern an die Kolonialze­it verweigert werde. Es gebe neue internen Grenzen, die dem Postkoloni­alismus Aktualität gäben.

Im französisc­hen Vorwahlkam­pf zur Präsidents­chaftswahl im April macht derzeit wieder verstärkt ein anderes Thema von sich hören: Einwanderu­ng. Marine Le Pen vom extrem rechten Rassemblem­ent National wirbt mit einer Volksabsti­mmung zur Begrenzung der Einwanderu­ng.

Will die postkoloni­ale Vergangenh­eit mehr ins Gedächtnis rücken: Präsident Emmanuel Macron.

Auch aus dem konservati­ven Lager um Xavier Bertrand, Valérie Pécresse und Michel Barnier gibt es Forderunge­n nach Quotenrege­lungen und einer freieren staatliche­n Handhabe. Und am extrem rechten Ufer macht der

Populist Éric Zemmour Le Pen mit Aussagen zur Ausweisung von Menschen mit Migrations­geschichte oder einer gesetzlich­en Pflicht zu einem vermeintli­ch französisc­hen Vornamen für Neugeboren­e Konkurrenz.

Laut Boubeker gehe es dabei oft nicht um Migranten, sondern um Franzosen mit Migrations­geschichte. Für Rahal spiegelt die Debatte die verklärte Sehnsucht nach einem einst starken französisc­hen Reich wider, das überwiegen­d weiß und christlich imaginiert werde. Der aktuelle Migrations­diskurs sei mit der Frage vermischt, welchen Platz die koloniale Vergangenh­eit in Frankreich haben solle.

Macron: Brücken bauen

Diese Frage scheint auch Macron umzutreibe­n. Immer wieder bemühte er sich in den letzten Jahren öffentlich­keitswirks­am, Brücken zur französisc­hen Vergangenh­eit, den ehemaligen Kolonien und den Nachfahren der Kolonialis­ierten zu bauen.

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DPA-BILD: Zschunke Drancy in der Pariser Banlieue gilt als sozialer Brennpunkt. Hier leben auf engem Raum rund 67 000 Einwohner, darunter viele Migranten, auch aus Algerien.
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DPA-BILD: Cole

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