Nordwest-Zeitung

Vater vergib

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Können Sie sich gut und schnell vertragen? Oder sind sie eher nachtragen­d? Reichen Sie jemandem schnell die Hand, wenn es vorher richtig gekracht hat? Wie ist das mit der Versöhnung?

Vor 80 Jahren begann einer der fürchterli­chsten Abschnitte

des Zweiten Weltkriege­s. Nazideutsc­hland überfiel 1941 die damalige Sowjetunio­n. Historiker­innen und Historiker in aller Welt vermuten bis heute, dass in der Folge über 30 Millionen Menschen umkamen. Das ist unglaublic­h und nicht zu erfassen.

Allein im heutigen Weißrussla­nd wurden 628 (!) Dörfer zusammen mit ihren Bewohnern (!) bis auf die Grundmauer­n niedergebr­annt. In meiner Wilhelmsha­vener Kir1940 che gibt es darüber gerade eine Ausstellun­g. Sie trägt den Namen „Das Geheimnis der Versöhnung ist Erinnerung“.

Schreckens­bilder und Geschichte­n, die sich unter dem Titel verbinden. Erinnern und sich versöhnen, so fordert die Ausstellun­g auf. Und ich frage mich immer, könnte ich verzeihen, könnte ich mich wieder versöhnen.

Und ich spüre meine Grenzen. Es braucht immer wieder Menschen, die es wagen und den ersten Schritt gehen. Trotz allem, was passiert war.

In Coventry in England ließ der damalige Dompropst in seiner ebenfalls

zerstörten Kirche drei Worte an die noch vorhandene Wand meißeln: „FATHER FORGIVE“(Vater vergib).

Angesichts aller Schrecken denke ich immer wieder an die unfassbare Stärke dieser Worte. Zu erleben, wie du hilflos manchem ausgeliefe­rt bist und dann zu sagen „Vater vergib“– das finde ich bewunderns­wert und sehr besonders.

Man kann keinem vorschreib­en, das zu sagen. Ich kann nicht einmal behaupten, dass ich das sagen und tun könnte. Aber ich ahne und glaube, dass dies trotzdem verändernd­e Wirkung hat. Auch wenn ich trotzdem eine unbändige Wut auf all die Gewalt habe, die Leben zerstört.

Frank Morgenster­n ist Pastor an die Christus- und Garnisonki­rche in Wilhelmsha­ven, die ein besonderes Verhältnis zu den Kriegen des vergangene­n Jahrhunder­ts hat.

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VON Frank Morgenster­n

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