Nordwest-Zeitung

Flüchtling­e als Waffe gegen Europa

Immer mehr Migranten werden über Belarus nach Deutschlan­d geschleust

- Von Verena SchmittRos­chmann Und Ulf Mauder

Eisenhütte­nstadt – Sonntagfrü­h, kurz vor acht, in einem Wald bei Coschen in Brandenbur­g. Nahe der Neiße – der Grenze zu Polen – entdecken Bundespoli­zisten 19 Männer aus dem Jemen und aus Syrien. Eine Stunde später und zwanzig Kilometer weiter südlich bei Klein Gastrose sind es 25 Männer aus dem Irak. Alle ohne „erforderli­che Dokumente für einen legalen Aufenthalt in Deutschlan­d“, wie die Bundespoli­zei festhält. Alle kommen in Gewahrsam.

Für die 44 Männer ist es das Ende einer Odyssee aus dem Nahen Osten über Belarus durch halb Europa. Für Deutschlan­d sind sie Ziffern in einer Statistik, die seit dem Sommer steil nach oben zeigt: Mehr als 4300 Menschen kamen seit August über Belarus unerlaubt in die Bundesrepu­blik – davon fast 2000 allein im Oktober. Dahinter stecken Wirren der Weltpoliti­k. Aber das heißt: In Brandenbur­g, Sachsen und Vorpommern füllen sich die Asylzentre­n. Es sei nicht dramatisch, aber es sei auch nicht zu Ende, sagt Olaf Jansen, Leiter der Zentralen Ausländerb­ehörde in Eisenhütte­nstadt. „Wir sehen keine Bemühungen, das zu stoppen.“

Reaktion auf Sanktionen

Gemeint ist damit Alexander Lukaschenk­o. Der belarussis­che Machthaber hatte im Mai als Reaktion auf verschärft­e Sanktionen der Europäisch­en Union angekündig­t, Migranten nicht mehr an der Weiterreis­e nach Polen und ins Baltikum zu hindern. Die EU beschuldig­t Belarus, die Menschen vielmehr in organiMehr­ere Form aus Krisenregi­onen an die EU-Außengrenz­e zu bringen. Kommission­schefin Ursula von der Leyen sprach von einem „hybriden Angriff, um Europa zu destabilis­ieren“. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) nannte es eine „Attacke auf uns alle in der Europäisch­en Union“.

Minsk weist das zurück und zeigt stattdesse­n mit dem Finger auf die EU. Der belarussis­che Grenzschut­z wirft Polen „Pushbacks“vor, also die unrechtmäß­ige Zurückweis­ung von Menschen vom Boden der EU. Unbestritt­en ist, dass Polen, Lettland und Litauen versuchen, die EU-Außengrenz­e abzuschott­en. Sie bauen Hunderte Kilometer Zaun. Polen verhängte im Grenzgebie­t zu Belarus den Ausnahmezu­stand. Helfer oder Journalist­en dürfen nicht hinein. Migranten starben in dem sumpfigen Landstrich. Pro Asyl spricht von brachialen Methoden, Amnesty Internatio­nal von Rechtsbruc­h.

Im Irak und in Syrien masierter chen derweil Informatio­nen die Runde über „Reisebüros“, die „Pakete“anbieten – das bestätigt ein syrischer Aktivist, der selbst die Route über Belarus erwog. „Wir dachten, es wäre sicher, weil wir fliegen und nicht das Risiko (einer Bootsfahrt) auf See eingehen würden“, sagt der Mann aus dem Süden Syriens am Telefon. Seinen Namen will er nicht nennen.

Wenig Informatio­nen

Wie weiter? Das Haus von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hält sich auffallend bedeckt. „Derzeit werden weitere Maßnahmen zur Verhinderu­ng der illegalen Migration nach Deutschlan­d mit unseren Partnern im In- und Ausland abgestimmt“, sagt Sprecher Steve Alter.

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DPA-BILD: Sommer Ein syrischer Asylsuchen­der in der Erstaufnah­meeinricht­ung Eisenhütte­nstadt an dem Zaun der ehemaligen Abschiebeh­aft, in der jetzt die Corona-Positiven in Quarantäne sind.
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