Nordwest-Zeitung

Ein letzter Roman von John le Carré

Zehn Monate nach Tod des Schriftste­llers erscheint sein Werk „Silverview“

- Von Andrej Sokolow

London – Wenn das letzte Buch eines Autors nach seinem Tod erscheint, wird daraus oft mehr als ein Buch. Man kann es als letzte Botschaft sehen, oder eine Bilanz, eine Abrechnung. Ist „Silverview“, der Roman von John le Carré, der nun bei Ullstein erschienen ist, all das? Vielleicht nicht. Vielleicht aber auch sehr wohl.

Denn es ist ein Buch, das le Carré – der an diesem Dienstag 90 Jahre alt geworden wäre – schon vor Jahren angefangen hatte, irgendwann kurz nach dem 2013 erschienen­en Roman „Empfindlic­he Wahrheit“. Er schrieb und überarbeit­ete, und überarbeit­ete wieder. Doch in den Buchregale­n wurde „Silverview“von autobiogra­fischen Notizen und zwei Romanen überholt – und war bei le Carrés Tod an den Folgen einer Lungenentz­ündung im Alter von 89 Jahren immer noch ein Manuskript in der Schublade.

Sohn schreibt Buch fertig

Sein Vater habe ihm irgendwann das Verspreche­n abgenommen, ein unvollende­tes Buch, so eins übrig bleiben sollte, fertigzusc­hreiben, sagt le Carrés Sohn Nicholas Cornwell, selbst ein Schriftste­ller unter dem Namen Nick Harkaway. Also habe er sich nach dessen Tod noch trauernd mit Bleistift und dem abgetippte­n „Silverview“-Manuskript in einen Sessel gesetzt und gelesen. Er habe nicht viel Arbeit gehabt. Nur einige Stellen, an denen Redigierar­beit nötig gewesen sei.

„Silverview“ist ein eher kurzes Buch, gut 250 Seiten in der deutschen Übersetzun­g von Peter Torberg. Knapp dünner als einst „Der Spion, der aus der Kälte kam“, eine fieberhaft aufgeschri­ebene Geschichte, mit der le Carré, der eigentlich David Cornwell hieß, vor einem halben Jahrhunder­t den Spionagero­man neu erfand und Schriftste­ller von Beruf werden konnte.

Geschichte dahinter

„Silverview“ist ein sich langsam zuziehende­r Knoten von einem Buch. Es beginnt mit zwei auf den ersten Blick voneinande­r losgelöste­n Episoden. Eine junge Frau schiebt einen Kinderwage­n durch den Regen, um jemandem einen Brief von ihrer an Krebs sterbenden Mutter zu übergeben. Und ein Aussteiger aus der Londoner Finanzwelt, der einen Buchladen in der Provinz eröffnete, bekommt Besuch von einem seltsamen Mann. Die Geschichte dahinter tritt nach und nach zu Tage. Und weil es le Carré ist, werden diese beiden Ereignisse bald nicht nur miteinande­r verbunden sein, sondern auch Teil einer Story um Spione und Agentenfüh­rer, um Lügen, Liebe und Verrat – und auch um die Verantwort­ung und Ohnmacht des Westens und seiner Geheimdien­ste.

Harkaway vermutet in dieser Resignatio­n einen Grund dafür, dass sein Vater so lange zögerte, das Buch zu veröffentl­ichen. Denn le Carré, bis zu seiner Schriftste­ller-Karriere selbst ein britischer Geheimdien­stler, sei stets loyal zum „Service“geblieben. „Eine Art emotionale Blockade“könne der einzige Grund gewesen sein, der ihn gehindert habe, „Silverview“fertigzusc­hreiben und zu veröffentl­ichen.

 ?? Dpa-BILD: Charisius ?? Der Schriftste­ller John le Carré starb im vergangene­n Jahr. Zehn Monate nach seinem Tod erscheint die deutsche Ausgabe seines Romans „Silverview“. Sein Sohn Nicholas Cornwell hat das Manuskript mit Feinschlif­f vollendet.
Dpa-BILD: Charisius Der Schriftste­ller John le Carré starb im vergangene­n Jahr. Zehn Monate nach seinem Tod erscheint die deutsche Ausgabe seines Romans „Silverview“. Sein Sohn Nicholas Cornwell hat das Manuskript mit Feinschlif­f vollendet.
 ?? BILD: Ullstein Verlag ??
BILD: Ullstein Verlag

Newspapers in German

Newspapers from Germany